Veranstaltungsbericht

Digitale Bildung für alle: Die Workshops im Themenmonat Bildungsgerechtigkeit und Demokratie

Eine nutzergenerierte Plattform für Fortbildungen, bildungspolitische Strategien für zukunftsorientierten Unterricht, Stärkung von Schulleitungen – das und mehr wurde in den Workshops des Netzwerks Bildung Digital zum Monatsthema „Bildungsgerechtigkeit und Demokratie“ diskutiert.

Klaus Lüber 03.08.2021

Alles ist schon da. Wir haben Ziel und Methoden definiert, wissen also genau, was zu tun ist. Und trotzdem kommen wir nicht recht voran. Der wider besseren Wissen ins Stocken geratene Transformationsprozess, er war so etwas wie ein Grundmotiv, das sich durch alle drei Workshops zog, mit dem das Netzwerk Bildung Digital Mitte Juli sein erstes Monatsthema „Bildungsgerechtigkeit und Demokratie“ begleitete und auf konkrete Fragestellungen verdichtete: Wie eignen sich Lehrende und Lernende notwendige Kompetenzen an? Wie fördert man ein auf Selbstverantwortung basierendes Mindset? Welche Möglichkeiten hat man, die große Heterogenität von Angebot und Nachfrage sinnvoll zu bündeln? 

Dabei war interessant zu sehen, wie gerade die nüchterne Analyse der Ausgangslage im direkten Austausch der jeweils rund 20 Teilnehmenden eine beeindruckende Produktivität entfaltete. Statt enorme Energie auf neue Formate und Strategien richten zu müssen, so hörte man oft, ergäbe sich nun die Chance, schon vorhandene erstklassige Angebote in die Breite zu bringen. Und trotz häufiger Rückversicherungen darüber, welche Ziele, welche Vision man denn nun im Blick habe bei dieser oder jener Idee, wurde deutlich: Die Vision ist eigentlich keine Vision mehr. Sie ist längst Realität, zeigt sich in den vielen Beispielen aus der Praxis, die in den Runden erwähnt und diskutiert wurden.

Chefkoch.de für digitale Bildung?

Je konkreter, desto besser, war zunächst die Marschrichtung, die der Workshop „Kompetenzen für Lehrende und Lernende“ vorgab. Ideen für eine Online-Plattform wolle man sammeln, so die gemeinsame Zielsetzung, über die Angebote im Bereich digitale Bildung insbesondere für Pädagog:innen besser zugänglich werden. „Angenommen, eine Lehrerin oder ein Lehrer plant einen Onlinekurs mit 20 Teilnehmenden. Dafür sucht sie oder er ein digitales Tool, das die Schüler:innen dazu befähigt, in Kleingruppen zu arbeiten“, so eine Teilnehmerin. „Dann könnte mir eine solche Plattform Empfehlungen geben. Und nicht nur das. Sie könnte mich sogar mit jemandem vernetzen, der genau mit diesem Setting schon Erfahrungen gemacht hat.“

Möglich wäre dies, so war man sich schnell einig, zum Beispiel in Form eines nutzergenerierten Online-Katalogs. Ähnlich wie beim user:innenbasierten digitalen Kochbuch chefkoch.de könnten User:innen eigene Vorschläge posten, würden sich über ein Bewertungssystem automatisch mit anderen User:innen vernetzen und stünden sogar für eventuelle Rückfragen zur Verfügung. „Was Pädagog:innen im Alltag oft am dringlichsten benötigen, ist die Möglichkeit, sich schnell und unkompliziert Hilfe zu holen“, so hieß es im Workshop. Auch ein eher zentral verwalteter Informationsdienst nach Vorbild der Website www.fragzebra.de wurde diskutiert. Dort beantwortet ein Expert:innenteam User:innenfragen rund um den digitalen Alltag. Dazu kann man unter bereits gestellten Fragen suchen oder dem Team eine spezifische Frage stellen, auf die innerhalb von 24 Stunden eine personalisierte Antwort folgt. „Ideal wäre es, man würde dies noch mit einer telefonischen Hotline kombinieren“, wurde vonseiten der Teilnehmenden ergänzt. 

Die Alltagspraxis der Pädagog:innen blieb auch bei weiteren Überlegungen ein zentraler Ausgangspunkt. Damit echter Wandel stattfinden kann, waren sich viele einig, müsste an vielen Stellen im Arbeitsalltag von Lehrkräften nachjustiert werden. Ganz entscheidend: mehr Freiräume in der Unterrichtsentwicklung, vor allem in Form zeitlicher Ressourcen. Auch lohne es sich darüber nachzudenken, bei besonders offenen und motivierten Lehrkräfte anzusetzen und diese als „Botschafter:innen“ auszubilden, über die man dann die Möglichkeit hätte, auch eher zurückhaltende Kolleg:innen für neue Unterrichtskonzepte zu begeistern. „Wir können und müssen hier auf den psychologischen Effekt aufsetzen: Was der oder die kann, das kann ich auch.“

Von unten entwickeln, von oben stützen

Mehr Partizipation und Chancengleichheit in der Bildung erreicht man dann besonders gut, wenn Lernprozesse selbstorganisiert stattfinden können, wenn sowohl Lehrenden als auch Lernende Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen können und wollen. Dies war der Ausgangspunkt des Workshops „Verantwortung (lieben) lernen UND Lernprozesse selbstverantworten (lassen)“. Schnell zeigte sich: Die Fragen, die sich hier anschließen, sind komplex. Wann genau öffnet eine Lehrkraft ihren Unterricht für selbstbestimmtes Lernen? Und wann nehmen Schüler:innen die Freiräume auch an? Und die Antworten sind drängender denn je: Denn Bildung, da war sich die Gruppe einig, wird eine zentrale Rolle dabei spielen, ob wir die großen Herausforderungen der Zukunft meistern können.

Genau definiert seien diese Herausforderungen zwar längst – etwa im Nationalen Aktionsplan für nachhaltige Entwicklung. 130 Ziele und 349 konkrete Handlungsempfehlungen sollen, so das ambitionierte Ziel des 2017 veröffentlichten Berichtes, sollen Bildung für nachhaltige Entwicklung strukturell in der deutschen Bildungslandschaft verankern. „Schule hat die Aufgabe, nachkommende Generationen zu befähigen, ihre Gegenwart auch im Hinblick auf ihre Zukunft mitgestalten zu können“, so heißt es dort. Und: „Schulen müssen sich mehr als bisher nach innen und außen öffnen, um Schnittstellen und Kooperationen mit außerschulischen Akteuren nutzen zu können.“ 

Aber was tun, wenn „95 Prozent der Schulen noch nie etwas von davon gehört haben“, wie aus dem Workshop zu hören war? Wenn innovative Konzepte längst vorgedacht sind, aber nicht angewendet werden? „Wir müssen die Herzen aller Beteiligten berühren, zeigen, dass es hier um die ganz großen Fragen geht und dass hier jeder eine Verantwortung trägt.“ Und wie gelingt das konkret? Durch Präsentationen, Workshops, Seminare über sämtliche Akteure des Bildungssystems hinweg. Vom Projekt „Schule im Aufbruch“ berichtete Mit-Gründerin Margret Rasfeld, die auch am Workshop teilnahm, wie man damit sowohl an der Basis als auch auf der Leitungsebene in den Ministerien Erfolg haben könne. „Die Bereitschaft zur Veränderung ist bei vielen ja gegeben, nicht nur bei motivierten Lehrer:innen, sondern auch in den Ministerien. Oft ist nur ein Impuls notwendig, ein Gefühl dafür, wie es anders gehen kann.“ In Niedersachsen habe man es so geschafft, nicht nur auf Schul-, sondern auch auf Ebene des Kultusministeriums ein groß angelegtes Transformationsprojekt zu initiieren, „von unten entwickelt, von oben gestützt.“

Doppelspitze für Schulleitungen

Im dritten Themenworkshop „Digitale Bildung für alle“, der mit Teilnehmenden aus den Bereichen Medienpädagogik, Journalismus, Design, Informatik und Erwachsenenbildung die Chance bot, besonders multiperspektivisch zu arbeiten, widmete man sich noch einmal intensiv der Frage, wie die große Heterogenität an Bildungsangeboten an die ebenso große Heterogenität einzelner Zielgruppe gekoppelt werden könnte. Dabei wurde wie im ersten Workshop auch über den Sinn und Zweck einer Online-Plattform diskutiert – und bereits erste Kontakte geknüpft. Kurz vor den Launch stehe man mit genau solch einem Projekt, berichtete ein Informatiker aus Hamburg. Die Datenbank sei programmiert, einzig die zugehörige Website müsse noch designt werden. Mit im Workshop: ein User-Experience-Designer, der an einer Machbarkeitsstudie eben einer solchen Plattform arbeitet. Es ging nicht lange, bis man sich im Chat vernetzte.

Besonders interessant wurde es, als sich bei aller konstatierter Heterogenität der Zielgruppe dennoch Schlüsselakteure herauskristallisierten, auf die es sich lohne, ein besonderes Augenmerk zu richten. So seien sogenannte Vorzeigeschulen im staatlichen Schulsystem, so eine Arbeitshypothese, bislang sehr oft die Folge einer gewissermaßen rebellischen Schulleitung, die den Mut und Willen hat, aktiv bestehende Grenzen auszudehnen und aus eingeschliffenen Denkmustern auszusteigen. Warum also nicht aktiv die Kreativität an dieser Stelle fördern, indem man die bestehende, oft sehr verwaltungsorientierte Tätigkeit um eine Komponente bereicherte, die eher dem Mindset von Wissensmanager:innen entspräche. Denkbar wäre dies zum Beispiel durch eine Doppelbesetzung von Schulleitungen, so eine Idee aus dem Workshop.

Nachhaltige Projektplanung

Am Ende wurde es dann noch einmal ganz praktisch. Gabi Netz, Projektleiterin beim VHS-Lernportal, berichtete von ihren Erfahrungen bezüglich der finanziellen Förderung von Projekten. Es könne nicht sein, so Netz, dass jede Menge sinnvolle Projekte entwickeln, die aber alle nach Ende der Förderphasen wieder eingestampft werden müssen, weil keiner an die Folgekosten gedacht hat. „Viele gehen mit Online-Projekten um, als ob es sich um den Druck von Büchern handelte. Nach dem Versand kosten die nichts mehr. Das ist bei Online aber anders.“ Ganz entscheidend wäre es deshalb, schon frühzeitig die Nachhaltigkeit von Projekten sicherzustellen, etwa indem man Strategien entwickelte, die Bundesförderung in eine private Finanzierung zu überführen.