Veranstaltungsbericht

Konstruktiver Dialog: Was wir über das Lehren und Lernen in der Digitalität lernen können

Was brauchen wir, um den Herausforderungen in der Kultur der Digitalität gewachsen zu sein? Und wie lehren und lernen wir das? Welche Veränderungen sind dafür notwendig? Das Dialogforum zum Monatsthema „Didaktik und Lernkultur“ suchte nach Antworten.

Carolin Wilms 08.09.2021

Um uns in der digitalen Welt nicht nur zurecht zu finden, sondern selbstbestimmt die Möglichkeiten zu nutzen, brauchen wir Kompetenzen. In welcher Weise wir uns diese aneignen, wie dabei vorgegangen wird und welche veränderten Formate und auch Haltungen für solche Lernprozesse notwendig sind, darüber diskutierten die zahlreichen Teilnehmenden und Expert:innen im dritten Dialogforum des Netzwerk Bildung Digital am 1. September 2021 zum Monatsthema „Didaktik und Lernkultur in der Digitalität“.

YouTube

Für die Einbindung von Videos nutzen wir YouTube. Dabei werden Ihre Daten auch in den USA verarbeitet, die kein mit der EU vergleichbares Datenschutzniveau aufweisen. Deshalb besteht das Risiko, dass US-Behörden ggf. auf Ihre Daten zugreifen. Wenn Sie der Einbindung von YouTube zustimmen, erklären Sie sich mit der Datenverarbeitung und der Übermittlung in die USA einverstanden. Sie können Ihre Einwilligung in Ihren Cookie-Einstellungen jederzeit widerrufen. Nähere Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Video laden

Digital Literacy systematisch vermitteln

Die Bandbreite dieses Themas zeigte eingangs Clemens Wieland von der Bertelsmann Stiftung, Senior Expert des Programms „Lernen fürs Leben“, in seinem Impulsbeitrag auf und legte für die berufliche Bildung vier Thesen dar. Wieland betonte, dass die Medienaffinität vieler Jugendlicher nicht mit Medienkompetenz gleichzusetzen sei: Die Digital Literacy müsse in allgemeinbildenden Schulen systematisch vermittelt werden. 

Auch brauche es zur beruflichen Handlungsfähigkeit mehr als Faktenwissen: So müssen Methoden zur Erschließung neuen Wissens und der Umgang mit Informationen vermittelt werden, sagte Wieland. Zudem müssen Kompetenzen wie Kreativität und wertebasierte Entscheidungen gestärkt werden, da sie durch Maschinen nicht ersetzt werden können. Wieland schloss mit der These, dass der Einsatz digitaler Technologien nicht automatisch einen didaktischen Mehrwert erzeuge. Daher müssen digitale Technologien geprüft und in Lehrkonzepte eingebettet werden.

Durch das Tun lernen, reflektieren und verankern

Das Stichwort „Digitale Lehr-Lern-Mittel“ zog sich durch die anschließende Paneldiskussion über das zukünftige digitale Lehren und Lernen. Dabei berichtete Julia Kleeberger, Co-Geschäftsführerin und Mitgründerin der gemeinnützigen Initiative Junge Tüftler*innen von ihrer Erfahrung, dass durch das Tun gelernt, reflektiert und verankert werde. Sie nannte das Beispiel der jungen Tüftler*innen, die sich etwa mit ihrer Ernährungsweise beschäftigen und dazu ein Quiz mit der Initiative Coding for Tomorrow der Vodafone Stiftung Deutschland programmiert haben. Lernmaterialien, um sich die dafür notwendigen Kompetenzen anzueignen, wurden in Zusammenarbeit mit dem Verbund der öffentlichen Bibliotheken Berlin (VÖBB) entwickelt, wie Moritz Mutter, Leiter des Projekts „Digitale Welten“, erklärte. Diese acht Veranstaltungsformate mit Videos und Textanleitungen stehen nun Lernenden aller Altersklassen zur Verfügung: von Kindern bis Senior:innen. Man bemühe sich, so Mutter, die Bibliothek als außerschulischen Lernort attraktiv zu machen, dem traditionellen Image entgegenzuwirken und auch bildungsferne Gesellschaftsschichten mit dem Angebot anzusprechen.

Kulturalisierung des Ortes

Nicht nur analoge, sondern auch digitale Orte seien neu zu denken, um die Interaktions- und Reflektionsprozesse von Kindern anzuregen, fügte die Bildungsforscherin Uta Hauck-Thum von der Ludwig-Maximilians-Universität München hinzu, die dort zu Grundschulpädagogik und -didaktik forscht. Dabei sprach sie sich für eine „Kulturalisierung des Ortes“ aus.
Mit Blick auf die Digitalisierung empfahl Hauck-Thum, den Schwung der Pandemie zu nutzen und die grundsätzliche Haltung zu Lehr- und Lernprozessen zu überdenken. „Es wird oft noch versucht, Unterricht – wie man ihn kennt – digital zu gestalten. Technologien stehen im Vordergrund, ohne die bestehenden Formate anzutasten und Methoden zu verändern. Es geht um grundsätzliche Veränderungen von Lehr- und Lernprozessen; da gehört auch eine veränderte Prüfungs- und Feedbackkultur dazu“, sagte Hauck-Thum.

An notwendige veränderte Lehr- und Lernprozesse erinnerte auch der Bildungsjournalist Bent Freiwald vom Online-Magazin Krautreporter. Er berichtete von einer Lehrkraft, die sich beklagte, dass ihre Schüler:innen für die Erledigung der Hausaufgabe lediglich die Romaninterpretation aus dem Internet kopiert hatten. Aus Freiwalds Sicht zeige das Vorgehen der Schüler:innen hingegen deutlich, dass Internetrecherche zum festen Bestandteil ihrer Lebenswirklichkeit gehöre und Lehrkräfte Aufgabenstellungen entwickeln müssten, die dies berücksichtigten.

Der Einsatz von digitalen Medien hat noch nichts mit digitaler Lernkultur zu tun

Aus der Perspektive der Lernenden sprach Ludwig Lorenz, Informatik-Student an der Bauhaus-Universität Weimar und Mitglied der „Denkfabrik Didaktik“ der DigitalChangeMaker AG, von seiner Doppelrolle: Einerseits habe er als Student während der Pandemie erlebt, dass für einige Lehrpersonen digitale Lehre darin bestehe, Übungsblätter auf den Server hochzuladen. Der Einsatz von digitalen Medien habe aber noch nichts mit digitaler Lernkultur zu tun. Als E-Tutor befasst sich Lorenz mit den Potenzialen der digitalen Lehre sieht etwa durch den Einsatz von Umfragen oder Quiz im Unterricht eine Möglichkeit für größere Methodenvielfalt.

Lehrkräfte spielen bei schulischen Transformationsprozessen eine zentrale Rolle

Uta Hauck-Thum erklärte, dass Lehrkräfte bei schulischen Transformationsprozessen eine zentrale Rolle einnehmen, wenn sich ihre Haltung hin zum Lernbegleitenden verändere. Diese müssten auch bereit sein, ihre fachspezifischen Inhalte unter den Bedingungen der Digitalität zu reflektieren. Es ginge etwa nicht darum, ob nun analog oder vom Ebook-Reader gelesen werde, sondern wie etwa der veränderte Umgang mit Literatur aussehe. Die Lernbegleiter:innen müssen dafür flexibel, anpassungsfähig und innovativ sein, um auch mit diesen Prozessen umgehen zu können, forderte Hauck-Thum.

Julia Kleeberger ergänzte, dass die Lernbegleiter:innen das einzelne Kind sehen müssen, um zu verstehen, wie das Kind am besten lerne: Brauche es die Gruppe, lerne es gern allein oder bevorzuge es Audio-Beiträge? Das Gute der digitalen Werkzeuge sei, dass man verschiedene Lernräume schaffen könne, um so die Lust am Lernen zu stärken.

Trennen von seriösen und nicht seriösen Quellen

Ludwig Lorenz wies auf eine neue Verantwortung für alle Beteiligten hin, aus der zunehmenden Menge an Information neue Quellen auszuwählen. Das Wissen darüber, wie Algorithmen und Interessen zusammenhängen, sei beim Aussuchen und Bewerten von Informationen von enormer Bedeutung und nicht nur Studierenden müsse das vermittelt werden. Als Journalist ist Bent Freiwald mit diesem Thema täglich konfrontiert: Die heutigen Erwachsenen haben sich dieses Wissen selbst beigebracht – in vielen Fällen aber auch nicht, so Freiwald. Daher sei es sehr wichtig, dass Schüler:innen dieses Wissen in den Schulen systematisch beigebracht werde, forderte er.

Vier Ideenwerkstätten suchen Antworten

Die sich an die Paneldiskussion anschließenden vier Ideenwerkstätten erarbeiteten jeweils eine Fragestellung, die zu zwei Kernfragen verdichtet und in vertiefenden Workshops am 16. und 22. September 2021 erarbeitet werden sollen. Zur Beantwortung des vorgegebenen Fragefragmentes „Wie können wir…, damit…“ stellte sich in jeder Ideenwerkstatt die Frage, was worauf in der Digitalität aufbaut. Dieses Henne-Ei-Problem zeigte sich zudem bei den Themenclustern: Erst den Kulturwandel einleiten, dann für ausreichende Medienkompetenz sorgen und im Anschluss die didaktische Lehrkräfteausbildung erneuern oder die lernende Person in den Mittelpunkt stellen und vor dort aus Überlegungen zum neuen Rollenverständnis in der Digitalität und dem ganzheitlichen Entwicklungsansatz anstellen?

Auch die Zuordnungen der einzelnen Aktivitäten zu den Clustern sorgte für rege Diskussion, die die Teilnehmenden aus den unterschiedlichen Bereichen – wie Lehre, Forschung, Dienstleistung – führten. Immer wieder wurde deutlich, welchen dringenden Bedarf Lehrkräfte haben, in der Kultur der Digitalität mit didaktischem Rüstzeug ausgestattet zu werden, das wissenschaftlich fundiert ist. Auch sollte eine entsprechende Fehlerkultur Einzug halten, die Offenheit mitbringe und einen Experimentierraum eröffne, in dem man auch mal scheitern dürfe.

Radikaler System- und Kulturwandel

Neben den sachlichen und fachlichen Kompetenzen wurde vielfach die neue Rolle der Lehrenden thematisiert, die auch eine veränderte Haltung in der Kultur der Digitalität brauche. Mehrfach kam zur Sprache, dass das Lehren und Lernen in der Digitalität nicht nur eine Frage der Technik sei, sondern es sich um einen radikalen System- und Kulturwandel handle, der entsprechend zu begleiten sei – auch politisch und auf Ebene der strukturellen Rahmenbedingungen. Und noch ein Punkt wurde sehr deutlich: Die Ungeduld der Kinder sei spürbar. Eine Teilnehmerin ging davon aus, dass es nicht mehr lange dauern werde, bis es einen „Friday for Better Schools“ gebe, da sich viele Schüler:innen den Status quo nicht mehr bieten lassen wollen.