Veranstaltungsbericht

Grundsätze und Abläufe in der Digitalität neu denken: Die Workshops im Themenmonat Didaktik und Lernkultur in der Digitalität

Wie müssen sich Lehr- und Lernprozesse in der Digitalität verändern und welche Paradigmenwechsel müssen erfolgen, um eine digitale Lernkultur zu etablieren? Diese Themenspektren, so umfangreich wie essenziell, diskutierten Akteur:innen aus allen Bereichen entlang der Bildungskette im Rahmen von zwei Workshops und einem offenen Get-together – dem DigitalDienstag – die neben dem Dialogforum zum Monatsthema „Didaktik und Lernkultur in der Digitalität“ stattfanden.

Carolin Wilms 13.10.2021

Die Frage nach Veränderung werde ziemlich spät gestellt, bemerkte eine Teilnehmerin. Immerhin seien sowohl die Lehrenden als auch die Lernenden bereits während der Pandemie durch den Praxis(-stress)test gegangen. Zudem sei mittlerweile viel passiert und es existiere schon ein enormes Angebot. Gleichwohl entspricht der bloße Einsatz von digitalen Medien keiner digitalen Lernkultur. Daher geht Netzwerk Bildung Digital einen Schritt zurück, um die verschiedenen Akteur:innen mit ihren unterschiedlichen Kenntnissen und Erfahrungen zu befragen, wie das Potential der digitalen Bildung Eingang in die didaktischen Lehr- und Lernprozesse finden kann und welche Gelingensbedingungen notwendig sind.

Erst das Was und dann das Wie

Die Themen, die die Teilnehmenden in den Arbeitsgruppen selbst erarbeiteten, reichten von Didaktik über Lernatmosphäre bis zum Rollenverständnis in der Digitalität. Um die Vielzahl von Kompetenzen – allgemeine, fachliche, digitale und berufliche – den Lernenden zu vermitteln, präsentierten etwa zwei Lehrerinnen ihre Idee: Ihre jeweiligen Fächer pro Jahrgang und Lerngruppe auf Anknüpfungspunkte zu überprüfen, wo und wie digitale Kompetenzen verortet werden könnten. Dann, so die beiden Pädagoginnen, könne zunächst überprüft werden, welchen Mehrwert ein digitaler Einsatz habe, analog der didaktischen Grundregel, dass es entscheidend ist, was den Lernenden beigebracht werden soll und sich erst dann die Frage nach dem „Wie“ stellt. Daran entzündete sich ein kontroverser Austausch über Interdisziplinarität, denn die fachlichen Kompetenzen seien nicht mehr isoliert zu betrachten, das „Silo-Denken“ sei überholt. Die Lehrenden hoben hervor, dass die als 4Ks bezeichneten interdisziplinären Kompetenzen – also Kreativität, Kollaboration, Kommunikation und kritisches Denken – durchaus etwa beim Verfassen einer Inhaltsangabe durch kollaborative Zusammenarbeit verwoben werden könnten.

Veränderte Hierarchien mit Lernbegleiter:innen

Ein solcher Ansatz verlange aber auch ein verändertes Rollenverständnis, das die klassische Rolle des allwissenden Vermittlers ablöse, betonte ein Teilnehmer. Es werde eher ein:e Lernbegleiter:in gebraucht, der oder die in kleineren Gruppen Projekte mit der Lebenswelt der Lernenden verbinde. Auch solle eine Fehlerkultur etabliert werden, die erlaube, dass Lernende auch Lehrenden etwa die Funktionalität eines Tools nahebringen und dies Nähe und ein anderes Verhältnis schaffe: Wir lernen zusammen. Mit dieser veränderten Hierarchie ginge auch eine andere Ansprache einher, wie man sich etwa per E-Mail begrüße und ob man sich weiter sieze. Um diese neue Rolle ausüben zu können, brauchen die Lehrenden entsprechende Freiräume, die man gerade auch den Eltern der Lernenden vermitteln müsse. Ein Pädagoge aus der beruflichen Lehre erinnerte, dass ein Gleichgewicht entstehen müsse zwischen der Motivation, die die Lehrenden bei den Lernenden versuchen zu befördern und der Inkaufnahme, dass Inhalte, die nicht so viel Spaß machen, auch zum Leben dazu gehören. Die Lernenden müssen dies aber auch bewältigen und so Verantwortung für das eigene Leben übernehmen.

Standardisierte Transformation

Um Lehr- und Lernprozesse in dieser Weise zu reformieren, müssen grundlegende Vorgehensweisen verändert werden und damit nicht jede Schule „das Rad neu erfinden müsse“, dachten die Teilnehmenden über Standards nach, die alle Schulen anwenden können. Dabei untersuchten die Beteiligten, wie eine geeignete Strategie und entsprechender Wissenstransfer aussehen und welche Haltung entwickelt werden müsste. Als entscheidende Gelingensbedingung für die Umsetzbarkeit dieser Vorhaben wurde eingangs von einer Teilnehmerin die Sicherstellung der ausreichenden Budgetierung hervorgehoben: Digitalisierung in der Schule könne man nicht nebenbei in der Freizeit machen, sondern es sei eine politische Gewichtung und damit verbundene Finanzierung etwa für die Freistellung vom Unterricht notwendig.
Um die Lernkultur zu verändern, war der Wunsch der Teilnehmenden, eine Strategievorlage zu entwickeln, die den Weg durch die Transformation beschreibe, die dazugehörigen Komponenten aufliste und so Transparenz schaffe. Häufig seien die konkreten Ziele nicht bekannt und eine solche einheitliche Handreichung würde den Schulen die Arbeit erleichtern, die Maßnahmen runterzubrechen.

 

Verortung im Transformationsprozess

Da sich in diesem Prozess vermutlich ähnliche Fragen in allen Schulen stellen würden, empfahl eine weitere Arbeitsgruppe eine digitale Plattform einzurichten, auf der sich die Akteur:innen inner- und außerhalb des Bildungsraums vernetzen und austauschen können. Dabei sei auch ein Format zur Selbsteinschätzung hilfreich, das zeige, wo man im Transformationsprozess stehe. Als wesentlich wurde ein in Dänemark übliches Modell genannt, dass die Einrichtung von multi-funktionalen und -disziplinären Teams in Schulen vorsieht, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann: Dabei handle es sich etwa um Unterstützung im IT-Bereich, so dass sich die Lehrenden auf ihre pädagogische Kernkompetenz konzentrieren können und sich nicht noch nebenher um das lahmende WLAN kümmern müssen. „Die Schule muss unternehmerischer werden“, war die Forderung eines Teilnehmers.

Digitaler Stammtisch

Beim digitalen Stammtisch – dem DigitalDienstag, der künftig jeden letzten Dienstag im Monat stattfinden soll – tauschten sich Teilnehmende aus Schule und Verwaltung sowie Bildungsanbieter:innen in Kleingruppen aus. Die thematische Bandbreite erstreckte sich von praxisnahen Austauschformaten über digitale Lernumgebungen bis hin zu Synergien zwischen den verschiedenen Bildungsbereichen. Dabei wurde deutlich, dass es wenig Transparenz gebe, wo Geldmittel für Weiterbildungsmaßnahmen beantragt werden können und somit dringend Austausch darüber erforderlich sei. 

Mehrere Teilnehmenden merkten an, dass momentan ein krasses Missverhältnis zwischen der hohen Verfügbarkeit von Computern und Tablets und der mangelnden technischen Unterstützung bestehe, die – wie ein Teilnehmer sagte – derzeit durch den „First-Level-Support Lehrkraft“ geleistet werde. Ebenso wurde eine Fortsetzung und Weiterentwicklung des DigitalPakt Schule gefordert, der in die didaktische Weiterbildung von Lehrenden investieren soll. Dass der nachkommenden Lehrendengeneration mittlerweile digitale Lehrprozesse vermittelt werden, berichtete Jan Lilje von der Lehrkräftebildung der Universität Leuphana in Lüneburg. Dort sei das Modul Medienbildung bereits in die grundständige Lehrkräfteausbildung integriert worden.

Abschließend sagte eine Teilnehmerin, dass der DigitalDienstag ein passendes Forum sei, um zueinander zu finden und „über Bande, nur mal kurz nachzufragen“. Ergänzend dazu hoffte ein Teilnehmer, dass dieses Format weiter fortbestehe: „Wir hätten uns noch eine Stunde weiter unterhalten können.“