Veranstaltungsbericht

Räume zur Reflexion: Wie Qualifizierung in der Digitalität gelingen kann

Anbieter von Aus-, Fort- und Weiterbildungen stehen unter zunehmendem Druck, Kompetenzen für eine zunehmend digitalisierte Welt zu vermitteln – und dies bei sich ständig und rasant verändernden Rahmenbedingungen. Wie kann es dennoch gelingen, hochwertige Qualifizierungsangebote zu entwickeln? Dies wurde beim Dialogforum zum Thema „Qualifizierungsangebote in der Digitalität“ diskutiert.

Klaus Lüber 01.11.2021

Eigentlich ist die Frage naheliegend. Umso merkwürdiger, wie selten sie in der Debatte um Digital-Kompetenzen bislang gestellt wird: Wer jungen Menschen die entscheidenden Fähigkeiten im kompetenten Umgang mit einer zunehmend digitalisierten Umwelt mitgeben will, muss bereits selbst hochkompetent in der Vermittlung dieser Inhalte sein. „Wir wissen schon ziemlich genau, was wir Schüler:innen fächerübergreifend vermitteln wollen. Raster wie das der KMK definieren das sehr präzise“, so Christoph Thyssen. „Aber wir haben uns noch viel zu wenig Gedanken darüber gemacht, wie Bildner:innen das dann konkret im Unterricht umsetzen können.“

Thyssen ist Leiter der Arbeitsgruppe Didaktik der Biologie an der Technischen Universität Kaiserslautern. Als einer der Panelteilnehmer:innen des Dialogforums „Qualifizierungsangebote in der Digitalität“ diskutierte er mit zur Frage: Wie verändert sich die Aus-, Fort- und Weiterbildung in der digitalen Welt? Und welche Kompetenzen benötigen das pädagogische Personal sowie Fach- und Führungskräfte, um die Potenziale digitaler Medien in innovativen Lehr-Lern-Formaten zu nutzen? Die Hauptherausforderung für Lehrer:innen sieht Thyssen im Augenblick darin, digitale Basiskompetenzen tatsächlich auch auf einzelne Fächer herunterbrechen zu können. „Wir müssen uns klarmachen, welche Fächer welche spezifischen Settings entwickeln müssen.“

Technik-kritischer Blick

Nun ist die Notwendigkeit, Bilder:innen in Kompetenzvermittlung zu schulen, alles andere als eine neue Erkenntnis. Für das FrauenComputerZentrumBerlin e. V. (FCZB), vor 38 Jahren als erste deutsche IT-Ausbildungsstätte für Frauen von Frauen gegründet, ist es immer noch entscheidend, selbst Trainerinnen auszubilden. Doch die zunehmende Komplexität der Anforderungen mache diesen Fokus noch dringlicher, so Karin Reichel, die als FCZB-Geschäftsführerin an der Diskussion teilnahm. „Unserer Meinung nach ganz entscheidend ist es ja nicht nur, einen kompetenten Umgang mit IT-Infrastruktur und Hardware zu lehren, sondern einen durchaus technik-kritischen Blick zu schärfen.“ Es könne nicht nur um reine Anwendungsschulungen gehen, sondern die gesamtgesellschaftliche Perspektive müsse immer mitgedacht werden. Genau diese Kompetenz fehle vielen Lehrenden aber im Augenblick noch. 

Wo liegt das Problem? Und wie könnte eine Lösung aussehen? Für Reichel ist klar: Im eng getakteten Arbeitsalltag von Lehrenden fehlt die Zeit für Reflexion und kooperativen Austausch. Die bei sogenannten Digital Natives anzutreffende Kompetenz im Umgang mit digitalen Tools helfe hier nur bedingt weiter. „Dass Digital Natives hier angeblich schon so viel mitbringen, halte ich für übertrieben“, so Reichel. „Die kommen zwar sehr gut mit ihren Apps klar, aber wichtige Themen wie Datenschutz und -sicherheit spielen für sie oft keine Rolle.“ Auch Christoph Thyssen ist der Meinung: Von einer hohen Anwendungskompetenz bei digitalaffinen Jugendlichen könne man nur in einem sehr engen Spektrum sprechen. „Wenn Probleme auftreten, sind die Kompetenzen auch ganz schnell am Ende.“ Was Digital Natives mitbrächten, sei allenfalls ein Grundstein, auf dem man aufbauen könne, den es aber mithilfe der Lehrenden zu erweitern gälte. Immer im Sinne der Frage: Wie können mir digitale Tools im Unterricht konkret weiterhelfen? Und wie kann ich die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen besser einbeziehen?

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Ziele im Blick behalten

Die Jugendlichen stärker einbeziehen und neue Arten der Wissensvermittlung besser verstehen, das ist auch Tilman Zschiesche wichtig, der als Geschäftsführer der ibbw-consult GmbH, eines Instituts für berufsbezogene Beratung und Weiterbildung, am Panel teilnahm. Für Zschiesche bewegen sich Schüler:innen schon heute in Parallelwelten. „Die meisten nutzen ja Tools, die im Unterricht gar nicht erlaubt sind.“ Wenn Plattformen wie Youtube inzwischen als weltgrößte Bildungsanbieter fungieren, müsse man solche Quellen in die Unterrichtsentwicklung mit einbeziehen. Sonst führe das dazu, dass immer mehr Jugendliche außerhalb des formalen Bildungssystems informieren. „Die koppeln sich ab. Das sollten wir möglichst vermeiden.“

Genau deshalb sei es auch so wichtig, immer die Zielgruppe im Blick zu haben. Das FrauenComputerZentrumBerlin realisiert dies beispielsweise im Rahmen ganz unterschiedlicher Settings, berichtete Karin Reichel. Dazu gehöre nicht nur die spezifische Ausrichtung der Lehreinheiten auf weibliche Lernende, sondern etwa noch weiter differenziert auf die Bedarfe geflüchteter Frauen. Auch die Ausbildung des Lehrpersonals in Pflegeschulen gehört zu einem Tätigkeitsfeld des FCZB. „Entscheidend ist es, die Bildungsangebote an die Voraussetzungen anzupassen, die Lernende mitbringen“, so Reichel. „Die Kunst ist es, hierfür ein eigenes Kompetenzraster zu entwickeln. Und dabei immer im Blick zu haben: Wo will ich eigentlich hin?“

Wunsch nach Konkretisierung

Ein Ausbildungsziel zu definieren und dann so konkret wie möglich in Unterrichtsinhalten zu operationalisieren: Das war ein Zugang zum Thema, das im Anschluss an das Panel auch die Teilnehmenden der anschließenden Ideenwerkstätten weiter beschäftigte. Wie bei den letzten Dialogforen sollten auch hier  wieder interessante Fragestellungen entwickelt werden, die in den Einzelworkshops des Themenmonats bearbeitet werden. Für erfolgreiche Qualifizierungsangebote, so war man sich etwa schnell einig, müsse man dafür sorgen, dass die vermittelten Ansätze auch konkret in der Praxis verwertbar seien. Im Augenblick liege es primär an der Lehrkraft, dies für den eigenen fachlichen Schwerpunkt zu identifizieren und realisieren. Und das sei, besonders in den MINT-Fächern, höchst anspruchsvoll. „Nehmen wir die Kompetenz zur Anwendung von Recherchetechniken. Das ist fächerübergreifend formuliert, muss aber fachspezifisch angepasst werden“, so Christoph Thyssen, der als Experte auch für die Ideenwerkstätten bereitstand: „Jemand, der eine Literatursuche in Bibliotheken beherrscht, der kann nicht automatisch auch mit einer Gen-Datenbank arbeiten.“

Der Wunsch nach Konkretisierung – er war auch bei anderen Teilnehmenden deutliche zu spüren. Statt sich ständig relativ oberflächlich an einer ganzen Reihe von Buzzwords abzuarbeiten, sollte man lieber dafür sorgen, dass Projekte auch konkret umgesetzt werden. Dann merke man schnell, was funktioniert und was nicht. Dazu müssten zum einen Ziele definiert, deren Erreichen oder Nicht-Erreichen aber auch dokumentiert werden. „Wir definieren ständig Qualifikations- und Kompetenzziele, die aber im Augenblick gar nicht abgeprüft werden“, so war zu hören. Da sei es auch kein Wunder, dass man sich in der Diskussion oft verliere. „Jeder hat etwas anderes im Fokus, gemeinsame Ziele werden kaum anvisiert.“

Druck rausnehmen

Kern bleibe, auch das ein zentraler Punkt der Diskussionen, die didaktische Planung des Unterrichts. Im Grunde müsse jeder Kurs so entworfen sein, dass man ihn ebenso als reines Online-Modul, im Rahmen eines hybriden Unterrichtskonzepts oder in Form einer reinen Präsenz-Veranstaltung durchführen kann. Mit Blick auf die Bedarfe der Bildner:innen kam die dringende Empfehlung: Druck rausnehmen, Zeit zur Reflexion geben, die Möglichkeit eröffnen, die eigene Haltung zu überdenken. Viel Lehrer:innen seien schon heute an der Belastungsgrenze, fühlen sich unter Druck gesetzt, digitale Tools einzusetzen, ohne die Zeit gehabt zu haben, sich in Ruhe damit auseinanderzusetzen. „Wir haben so viele Apps, die sich herrlich zur Freizeitgestaltung eignen“, so eine Teilnehmende. „Es darf aber nicht darum gehen, eine Zoom-Konferenz zu organisieren, nur weil das schick ist. Sondern man muss ein konkretes Ziel damit verfolgen.“ Wie also könnte man Rahmenbedingungen in Ausbildung und Arbeitsalltag schaffen, damit Lehrkräfte Raum und Motivation zur Reflexion ihrer eigenen Haltung haben – auch dieser Arbeitsauftrag an einen möglichen vertiefenden Workshop kam aus den Ideenwerkstätten.

Klar war aber auch: Ohne den Willen zur Veränderung auf politischer und institutioneller Ebene wird es nicht gehen. Nur so könnte die Vielzahl an guten Einzelprojekten, die heute schon vorhanden sind, so gebündelt werden, dass tatsächlich etwas bei den Schulen ankommt. Dass Lehrer:innen wirklich die Zeit und Ressourcen erhalten, Unterricht neu zu denken. Oder wie es eine weitere Ideenwerkstatt als Arbeitsauftrag formulierte: „Wie können wir einen Perspektivwechsel bei politischen Entscheider:innen anstoßen, damit die Schulen zukunftsfähig werden und digitale Schulentwicklung ein nachhaltiger Bestandteil der schulischen Arbeit wird?“