Veranstaltungsbericht

Transfer in den Alltag: Die Workshops im Themenmonat „Qualifizierungsangebote in der Digitalität“

Parallel zur fortschreitenden Digitalisierung in allen Bildungsbereichen entstehen viele Qualifizierungsangebote, die diese Entwicklung aufnehmen und umsetzen. Wie begegnen wir den veränderten Bedingungen für Fortbildungsangebote in der Kultur der Digitalität? Dies war eine der Grundfragen, die im Rahmen zweier Workshops und eines offenen Get-togethers zum Monatsthema „Qualifizierungsangebote in der Digitalität“ diskutiert wurden.

Klaus Lüber 01.11.2021

1926 wurde in Hamburg die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg (KBW) eröffnet. Das Konzept war, zumindest im bibliothekarischen Sinne, spektakulär. Denn in der KWB, erdacht von Kunsthistoriker Aby Warburg, waren Bücher weder nach Alphabet noch Jahreszahl, sondern nach einem System der sogenannten „guten Nachbarschaft“ sortiert. Werke aus verschiedenen Disziplinen und auch Epochen wurden so nebeneinandergestellt, dass sich die Wahrscheinlichkeit erhöhte, beim Lernen oder Recherchieren vollkommen neue Zusammenhänge zu erkennen. 1933 musste die Bibliothek nach London emigrieren, wo sie ihren Sitz im „Warburg-Institute“ fand. 

Warburgs interdisziplinärer Ansatz begeistert bis heute und spielte eine Rolle auch im Austausch des Netzwerk Bildung Digital zum Thema „Qualifizierungsangebote in der Digitalität“ im Oktober. In zwei Etappen setzte man sich mit der komplexen Fragestellung auseinander, wie den veränderten Bedingungen für Fortbildungen in der Kultur der Digitalität zu begegnen wäre. Der Workshop „Entwicklungsräume für Qualifizierungsangebote in der Digitalität schaffen“ sollte die Grundbedingungen für eine motivierte, aktive Lernkultur erörtern, während der Workshop „Qualifizierungsangebote in der Digitalität agil und praxisnah gestalten“ sich mit den konkreten Bedürfnissen verschiedener Zielgruppen nach Fortbildungsinhalten auseinandersetzte. Wie schon im September bestand im Rahmen des  DigitalDienstag im Anschluss dann die Möglichkeit zu offenem Austausch und weiterer Vertiefung.

Positive Entwicklungsräume

Und so kam in einer der vielen Breakout-Sessions auch Warburgs Idee der „guten Nachbarschaft“ zur Sprache – als Idee kuratierter Lernpfade, in denen kleine, unerwartet auftauchende Impulse die Teilnehmenden dafür sensibilisieren, welche Formen digitalen Lernens überhaupt zu den jeweils gewünschten Lernzielen passen. Denn eines war schnell klar: Die eigentliche Herausforderung ist es nicht unbedingt, neue Tools oder Ansätze zu entwickeln – die gäbe es inzwischen im Überfluss –, sondern diese auch möglichst passgenau für die jeweilige Zielgruppe nutzbar zu machen. „Wir sollten digitalisiertes Lernen dazu benutzen, um neben Inhalten auch Anregungen zu vermitteln“, so eine Teilnehmende. „Dann können Qualifizierungsangebote auch ungemein motivationsfördernd sein.“

Denn genau das sei oftmals die Herausforderung: schon vom Alltagsstress bereits überforderte Pädagog:innen überhaupt dazu zu animieren, sich mit den Transformationsprozessen in ihrem Beruf auseinanderzusetzen. Viele Lehrende empfinden die Digitalisierung als Last und Bedrohung, haben Angst vor Überforderung und sehen in Fortbildungen wenig mehr als ein notwendiges Übel mit kaum Anknüpfungspunkten für die eigene Unterrichts- und Vermittlungspraxis. Positive Entwicklungsräume müssten dagegen so gestaltet sein, dass der persönliche Nutzen im Vordergrund stehen kann, dass klar wird, wie welche Maßnahme auf individueller Ebene entlasten kann, wie in einem Brainstorming zu den „Pains and Gains“ verschiedener Fortbildungsszenarien deutlich wurde. Im Idealfall machten die Teilnehmenden neue Erfahrungen, die sie unmittelbar im Job einsetzen können. Und erlebten Konzepte und Tools, die nicht nur ihnen das Leben leichter, sondern auch den Unterricht für die Schüler:innen spannender machten. „Der Transfer in den Alltag muss gelingen“, so war im Workshop immer wieder zu hören.

Kompetenzen zur Selbststeuerung

Relativ einig war man sich, dass Qualifizierungsangebote möglichst nicht als Pflichtveranstaltungen konzipiert werden sollten. Sie hätten es mehrmals erlebt, berichteten zwei Teilnehmende, wie in einem solchen Zwangssetting ein oder zwei Personen die Stimmung mit passiv-aggressivem Verhalten so weit verdarben, dass an einen konstruktiven Austausch nicht mehr zu denken war. „Die saßen da die ganze Zeit mit verschränkten Armen da und unterminierten das, worauf es in so einer Situation eigentlich ankommen sollte: eine offene, fehlerfreundliche Atmosphäre.“ Darüber hinaus sollten bei allen Maßnahmen immer auch die Rahmenbedingungen im Blick behalten werden, ohne die an Fortbildungen ganz grundsätzlich gar nicht zu denken sei: etwa ein größeres Zeitkontingent für rein pädagogische Aufgaben und die Bereitschaft der Vorgesetzten, Qualifizierungsangebote überhaupt als wertvollen Bestandteil der eigenen pädagogischen Tätigkeit zu akzeptieren.

Zu solchen Grundvoraussetzungen zählen auch sogenannte Selbststeuerungskompetenzen, die für die Verarbeitung berufsbezogener Stresssituationen wichtig sind, worauf in mehreren Diskussionsrunden hingewiesen wurde. Dazu zähle etwa der Umgang mit Unwägbarkeiten und Frustration, wie sie im Kontext der digitalen Transformation oft vorkämen. 

Um die Situation zu verbessern, müsse man vor allem den Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung stärker in den Fokus nehmen. Sie sei die Grundlage für eine konstruktive Beziehung sowohl der Lehrer:innen zu ihren Schüler:innen als auch der Referent:innen zu den Teilnehmenden eines Qualifzierungsworkshops. „Selbststeuerungskompetenzen lernt man in Beziehungen und von denjenigen, die sie schon beherrschen.“

Lernprozesse visualisieren

Die Bedingungen und Ausgestaltung von Beziehungen spielten auch in der Frage nach der Agilität und Praxisnähe eine zentrale Rolle. Agilität, so berichtete eine Teilnehmende, die in der Weiterbildung von Schulleitungen tätig ist, heiße für sie, immer wieder darauf einzugehen, was die Teilnehmenden gerade beschäftigt und eben nicht ihr eigenes Programm durchzuziehen. Genau dann vermeide man es auch, Trends hinterherzuhecheln, statt sich mit den konkreten Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe auseinanderzusetzen. Ebenso wichtig sei es, im direkten Austausch mit den Teilnehmenden Lernprozesse zu visualisieren und Lernfortschritte sichtbar zu machen – gerahmt von einer Selbsteinstufung zu Beginn und der Möglichkeit, den eigenen Lernerfolg im Anschluss auch mit anderen teilen zu können. Für die Messung des Lernerfolgs könnte es lohnenswert sein, so der Vorschlag eines Teilnehmenden, statt kurzfristiger Abfragen eine längerfristige Perspektive einzunehmen („Konntest du das, was wir damals gelernt haben, eigentlich weiterverwenden?“), um hiernach den jeweiligen Lerninhalt anzupassen.

Digitale Settings sind und bleiben hier zunächst eine Herausforderung. Vor allem, wenn es darum geht, Beziehungsarbeit im realen auf den virtuellen Raum zu übertragen. Hier habe es sich bewährt, viele Dinge schon im Vorfeld zu klären – insbesondere, was die Erwartungshaltung und Kompetenzniveaus der Teilnehmenden angeht. „Ich frage mich immer, was können die Teilnehmenden schon. Was ist wertvoll und hat Bestand? Und wo lässt sich noch etwas ausbauen und auf eine neue Qualitätsstufe heben?“, so hieß es in einem der Workshops.

Mittel und Macht

Am Ende gab es, beim DigitalDienstag dann noch einmal die Gelegenheit, etwas grundsätzlicher zu werden. „Wir sprechen von einer digitalen Revolution und tun so, als ob das in fünf Minuten eben mal getan wäre“, so eine Teilnehmende. Dabei sei das ein Kraftakt sondergleichen, dem man auch so Rechnung tragen müsse. 

Und trotz des hohen Veränderungsdrucks, so eine weitere Stimme, sei es jetzt gerade wichtig, gelassen zu bleiben. „Revolution, wenn sie denn gelingen soll, braucht ganz viel Überlegung und Strategie.“ Und einen Zugang zu politischen Entscheider:innen. „Wir können uns in der Breite abstrampeln wie wir wollen. Man braucht Mittel und Macht, um wirklich nachhaltige Veränderungen anzustoßen.“ So mache sich die Innovationsplattform ProjectTogether zusammen mit einer Reihe weiterer Akteur:innen gerade dafür stark, die Bildung eines Sondervermögens in der Höhe von 500 Millionen Euro in den Koalitionsvertrag einer künftigen Bundesregierung aufzunehmen, um unter anderem Innovationen im Bildungssektor voranzubringen. „In diese Richtung muss es weitergehen.“