Veranstaltungsbericht

Wrap-up – Abschlussveranstaltung des Netzwerk Bildung Digital 2021

In seiner Abschlussveranstaltung am 8. Dezember 2021 blickte das Netzwerk Bildung Digital zurück auf sieben intensive Monate und bündelte zentrale Ergebnisse aus Diskussion und Workshop rund um die Themen Bildungsgerechtigkeit und Demokratie, Beziehungen, Didaktik und Lernkultur, Qualifizierungsangebote oder Bildungszu- und übergänge. Auch 2022 wird die Arbeit fortgesetzt und um Experimentierräume, die das gemeinsame Handeln anstoßen sollen, ergänzt.

Klaus Lüber 16.12.2021

Wir theoretisieren viel zu viel und handeln viel zu wenig. Wenn in Deutschland über das Bildungssystem der Zukunft debattiert wird, dauert es nicht lange und der Vorwurf mangelnden Umsetzungswillens steht im Raum. Man sei einfach generell zu mutlos, nicht wirklich bereit für Veränderung, heißt es dann. Dabei liege doch alles, was man über gelingendes Lehren und Lernen wissen müsse, schon seit mindestens 20 Jahren auf dem Tisch.

Das stimmt zwar, ist aber dennoch nur die halbe Wahrheit, wie unter anderem das Netzwerk Bildung Digital (NBD) beweist. Am 8. Dezember traf man sich zur Abschlussveranstaltung für das Jahr 2021 und blickte zurück auf sieben intensive Monate, in denen zwar noch wenig gehandelt, dafür aber umso mehr miteinander gesprochen wurde. Ziel war es, einen Austausch über die gesamte Bildungskette anzustoßen. Von Kita bis Hochschule sollten Vertreterinnen und Vertreter einzelner Bildungsbereiche die Gelegenheit bekommen, eben das zu tun, was nach wie vor dringend notwendig ist, um überhaupt sinnvoll ins Handeln zu kommen: sich auf eine gemeinsame Vision zu verständigen, wo genau die Reise hingehen soll.

Wertvolle Impulse aus dem Netzwerk

Und das funktionierte sehr gut. Mehr als 1.200 Bildungsakteure hatten sich in 21 Onlineveranstaltungen zu den fünf Themen Bildungsgerechtigkeit, Beziehungen, Didaktik, Qualifizierung und Bildungsübergängen ausgetauscht. „Es waren tatsächlich sämtliche Bildungsbereiche vertreten“, so Jacob Chammon, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung. „Vor allem haben wir gesehen, wie groß der Wunsch nach wie vor ist, sich auszutauschen. Und wie gut und wichtig es sein kann, dafür einen Rahmen zu schaffen, der dies multiperspektivisch und bereichsübergreifend ermöglicht.“ 

Im Ergebnis bedeutete dies nichts weniger als einen umfassenden Überblick zu zentralen Elementen der digitalen Transformationen und Erkenntnisse darüber, wie diese ineinandergreifen und bei Bildungsentwicklungsfragen immer möglichst ganzheitlich in den Blick genommen werden müssen. So ist das Thema Bildungsgerechtigkeit sowohl eine Frage der technischen Ausstattung als auch des kompetenten Umgangs mit medialen Inhalten. Didaktik in der Digitalität bedeutet, sich sowohl mit digitalen Tools zu beschäftigen, in den Lernzielen aber weit über Fragen der Digitalisierung hinauszugehen. Etwa, wenn es darum geht, sich Gedanken zu machen zu den Voraussetzungen einer sinnvollen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden. Die aber natürlich auch wieder profitieren kann vom Einsatz digitaler Hilfsmittel, usw.

Um einen möglichst umfassenden und bildungsbereich-übergreifenden Blick auf das Zukunftsthema Digitalisierung bemüht sich auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das das Netzwerk Bildung Digital im Rahmen der Initiative Digitale Bildung fördert. Und hierbei sind die Impulse aus dem NBD besonders wertvoll, wie Dr. Catrin Hannken, Unterabteilungsleiterin Abteilung 31 „Berufliche Bildung“ BMBF und Koordinatorin der Initiative Digitale Bildung betonte. „Wir sind angewiesen auf den Austausch mit Praktikerinnen und Praktikern. Und da war es besonders schön zu sehen, wie konstruktiv und lösungsorientiert in den Foren und Workshops diskutiert wurde“, so Hannken in ihrem Resümee des ersten Jahres Netzwerkarbeit, die auch 2022 für ein weiteres Jahr vonseiten des BMBF gefördert wird.

Digitalisierung ist Beziehungsarbeit

In einem anschließenden Panel zur Zukunft des Bildungssystems brachte Stefan Muhle, Staatssekretär des Wirtschaftsministeriums Niedersachsen, denselben Gedanken noch einmal so auf den Punkt: Entscheidend werde es sein, möglichst klar zu formulieren, was wir von der Zukunft erwarten wollten, „nur dann setzen wir die Akteure im Bildungssystem in die Position, überhaupt sinnvoll handeln zu können.“ Dass wir dringend ins Handeln kommen müssen, steht für Muhle allerdings außer Frage. Denn im Grunde sei das deutsche Bildungssystem ein aus der Zeit gefallener Ort, den man im Sinne eines „Systemhacks“ radikal reformieren müsse. Darin sieht er, durchaus selbstkritisch, die Politik in der Verantwortung und plädiert für eine Föderalismusreform. „Es kann nicht sein, dass wir aus länderzentriertem Egoismus das Wichtigste aus dem Blick verlieren: die jungen Menschen und ihre Bedürfnisse.“

Darum geht es auch Marina Weißband, die sich als Leiterin des Projektes aula – Schule gemeinsam gestalten schon seit Jahren dafür einsetzt, die Debatte um digital gestützte Unterrichtskonzepte von Fragen der technischen Ausstattung zum Aufbau neuer Rollenverständnisse von Lehrenden und Lernenden zu lenken. „Digitalisierung ist Beziehungsarbeit, und damit immer eine Frage von Personal und nicht von Geräten.“ Dieser Fokus sei wichtig, um einmal mehr zu erkennen: Wir stehen vor einem Kulturwandel, der übrigens nicht nur die Interaktion von Lehrenden und Lernenden betrifft, sondern insbesondere auch die Verwaltungsebenen. „Ohne eine Veränderungsbereitschaft auf diese Ebene kommen wir nicht wirklich weiter.“ 

Zustimmung kam auch von Inga Cordes, Leiterin der Pacemaker-Initiative und Tobias Ernst, CEO der Kiron Open Higher Education gGmbH, die gemeinsam mit aula als unterstützende Partner auch alle beim Netzwerk Bildung Digital vertreten sind. Für Cordes ist klar: Nur in der direkten Arbeit mit Lehrenden und Lernenden ist es zu schaffen, einen wirklichen Kulturwandel anzustoßen. Für sie mit dem zentralen Ziel, Räume für mehr Partizipation zu schaffen. „Wir sind immer wieder erstaunt, wie uns eigentlich recht fortschrittliche Schulen davon berichten, dass sie durch die Arbeit mit uns plötzlich ihre Schülerinnen und Schüler regelrecht entdeckt hätten.“ Tobias Ernst bündelte denselben Ansatz in die nur auf den ersten Blick provokante Förderung, bitte in Zukunft weniger über Digitalisierung zu sprechen. „Woran wir wirklich arbeiten müssen, ist einen Grundkonsens herzustellen, dass wir es hier mit einer echten Transformation zu tun haben. Und dass wir in der Verantwortung stehen, unsere Kinder bestmöglich darauf vorzubereiten.“

In wünschenswerten Zukünften denken

Die gute Nachricht: Dieser Prozess scheint tatsächlich langsam in Gang gekommen zu sein. Und zwar in der Breite, wie es in fast allen Foren und Workshops des Netzwerk Bildung Digital als Forderung immer wieder anklang. Janina Mütze, die als Gründerin und Geschäftsführerin des digitalen Markt- und Meinungsforschungsinstituts Civey einen Impuls zur Gründungskultur in Deutschland gab, präsentierte bei dieser Gelegenheit auch gleich aktuelle Zahlen dazu, wie die Themen Digitalisierung und Bildung in der Bevölkerung inzwischen wahrgenommen werden. Dass die große Mehrheit der Meinung ist, dass wir unsere Kinder bislang nicht wirklich gut auf die Digitalisierung vorbereiten, mag angesichts der Stresssituation der Pandemie nicht verwundern. Vielleicht auch daraus folgend erkennen viele Menschen die Wichtigkeit an, sich mit diesem Thema in der Bildung auseinanderzusetzen. Auch die Notwendigkeit eines lebenslangen Lernens scheinen immer mehr Bürgerinnen und Bürger verinnerlicht zu haben.

Welche zentralen Aufgaben ergibt sich daraus für die Bildung in Deutschland? Auch eine Abfrage unter den inzwischen 80 Partnerinnen und Partner des Netzwerks, die sich mit kurzen Videostatements zu Wort meldeten, ergab zwar ein recht gemischtes Stimmungsbild, das allerdings geprägt war von einem klaren Shift weg von Ausstattungsfragen hin zu Strategien der Veränderung, die das Ziel eines echten Kulturwandels stärker in den Blick nimmt. So forderte Elke Brüsch von Diesterweg Hochschule e. V., selbst aktiv in vielen Workshops des NBD, weniger technische und mehr methodische Fragen in den Blick zu nehmen. Philipp Handschuh vom Leibniz Institut für Bildungsverläufe, betonte noch einmal die Notwendigkeit eines bildungsbereich-übergreifenden Ansatzes. „Unser Ziel muss es sein, heterogene Lebenswelten zu berücksichtigen.“ Die Hamburger Bildungsberaterin Cornelia Klioba, ebenfalls in vielen NBD-Veranstaltungen vertreten, warnte davor, Digitaltechnik primär für die Optimierung von Lernsettings einzusetzen: „Was Kinder vor allem brauchen, sind Freiräume.“ 

Wie solche Lern- und Handlungsräume in einem System entstehen können, das sich ja gerade durch einen eklatanten Mangel hauptsächlich an zeitlichen Ressourcen auszeichnet, war zentrales Thema eines Impulsvortrags der Zukunftswissenschaftlerin Aileen Moeck. Wir sollten weniger in Lösungen als in wünschbaren Zukünften denken, so der Appell von Moeck. Damit wir als Menschen wirklich tiefgreifende Veränderungen angehen können, bräuchten wir eine klare Vision. Und Geschichten, die uns motivierten. Wir sollten uns deshalb viel stärker mit der Frage beschäftigen, wie wir eigentlich leben wollen, statt uns den Kopf zu zerbrechen, auf eine vermeintlich unausweichliche technologische Entwicklung zu reagieren. „Unsere Aufgabe muss es sein, Menschen gerade in einer Zeit, in der sich vieles grundlegend verändert, mit einer gemeinsamen Vision zusammenzubringen. Und Bildung ist dabei unser wichtigstes Werkzeug.“

Ausblick 2022

Daran wird auch das Netzwerk Bildung Digital im kommenden Jahr weiterarbeiten und aufbauend auf den bisherigen Ergebnissen verstärkt versuchen, den Transfer in die Praxis voranzutreiben, wie NBD-Projektleiterin Anne Woltmann ankündigte. Beginnend mit einem Kick-off im Rahmen des DigitalDienstag am 25. Januar 2022 erhalten die Teilnehmenden in einer Reihe von Dialogforen wieder die Gelegenheit zum Austausch. In praxisbezogenen Experimentierräumen soll es dann darum gehen, in Arbeitszyklen von je drei Monaten Synergien zu entdecken und Ideen auch in konkrete Projektideen zu überführen. 

Und wer sich am Ende immer noch fragte, welchen Einfluss die Netzwerkarbeit letztlich auf Entscheiderebene haben könnte, ob es sich überhaupt lohne, so viel Zeit mit Diskutieren und Konzipieren zu verbringen, für den hatte Julia von Westerholt die passende Antwort. „Es ist sicherlich auch ein Verdienst des Netzwerks“, so schrieb die Verbandsdirektorin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes im Veranstaltungschat, „dass der Niederschlag einer Digitalisierungsoffensive für die Bildung sich so deutlich im Koalitionsvertrag wiederfindet. Danke an alle Akteure im Netzwerk, die hieran mitgewirkt haben!“