Veranstaltungsbericht
Digitale Kompetenzen an Bildungsübergängen stärken
Am 6. April 2022 fand das erste Dialogforum mit dem Titel „Digitale Kompetenzen entlang der Bildungskette sichern” des Netzwerk Bildung Digital statt. Dabei drehte sich alles um die Frage der notwendigen Kompetenzen in der Digitalität: Wie können diese festgestellt und entwickelt werden – und welche Rolle spielen Kompetenzen während der Bildungsübergänge?
21.04.2022Ob in der Schule oder im Beruf, als Lehrende oder Lernende: Der souveräne Umgang mit digitalen Medien ist über alle Altersklassen hinweg von Bedeutung. Geht es um die Frage der Kompetenzen, sind aber häufig nur einzelne Stationen der Bildungslaufbahn wie Schule, Berufsbildung oder Universität im Fokus der Betrachtung. Was muss geschehen, um auch die Bildungsübergänge zwischen diesen einzelnen Stationen stärker in den Blick zu nehmen? Diese Fragestellung stand im Zentrum des ersten Dialogforums des Netzwerk Bildung Digital, das vom Forum Bildung Digitalisierung koordiniert und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.
„Wir wollen kein Neuland, wir wollen digitale Bildung stärken“, betonte Moderatorin Hatice Akyün zum Auftakt des Dialogforums. Aus den einzelnen Bildungsbereichen gebe es bereits wertvolle Erfahrungswerte zum Thema Lehren und Lernen in der Digitalität, nun wolle man bereichsübergreifend darauf aufbauen. Jacob Chammon, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung, gab in seinen Begrüßungsworten einen Ausblick auf die kommenden Veranstaltungen des Netzwerk Bildung Digital: „Wir wollen die Arbeit des letzten Jahres weiterentwickeln – und gemeinsam ins Handeln kommen.“
Impulsvortrag: Digitalisierung als große Verflechterin
Die Digitalisierung als große Verflechterin – mit dieser These startete Jöran Muuß-Merholz, Diplom-Pädagoge und Bildungsunternehmer, in seinen Impulsvortrag. Geschickt wendete er die Verflechtungsthese auf die aktuelle Fragestellung der Kompetenzen entlang der gesamten Bildungskette an. Wie schon bei der Erfindung des Buchdrucks müsse auch in der digitalen Transformation ein Herausfindermodus herrschen. „Mit neuen Medien kann man viele Dinge anders machen“, so Muuß-Merholz. „Vieles ist nicht ganz neu, aber dennoch in einer anderen Quantität möglich.“
Bei der Frage der digitalen Kompetenzen fordert Muuß-Merholz ein digitales Mainstreaming: Welche Skills müssen wir neben Mediendidaktik und Medienkompetenz noch beherrschen? Vom Umgang mit sozialer Ungleichheit über die Automatisierung bis zum Datenschutz sei die Bandbreite an Herausforderungen für unsere Gesellschaft, die nicht genuin „digital“ seien, groß. Auch Kompetenzen wie Kreativität oder Resilienz würden unter dem Vorzeichen der Digitalität eine neue Dimension erreichen. „Gute Pädagog:innen verflechten Digitalthemen miteinander“, so Muuß-Merholz, „allerdings können wir heute wenig über das Wesen der Verflochtenheit sagen.“
Lehrkräfte müssen sich zu neuen Horizonten aufmachen
Im Anschluss diskutierten Lisa-Marie Brade, duale Studentin und Mitglied der komba jugend, und Maximilian Henningsen, Abiturient und Fachkoordinator für Inneres der Bundesschülerkonferenz, über die Frage der Kompetenzen von Lernenden und Lehrenden an Schulen und Universitäten. „Smart-TVs und Tabletklassen allein werden unser Bildungssystem nicht updaten können“, kritisierte Henningsen. „Lehrkräfte müssen auch in die Lage versetzt werden, digitale Lernmittel als Bereicherung in ihrem Unterricht einzubringen.“ Zwar gebe es schon eine Gruppe an engagierten Lehrkräften und Referendar:innen an seiner Schule, doch es müssten alle ermutigt werden, sich zu neuen Horizonten aufzumachen.
Leerstellen in den digitalen Kompetenzen verorten der Abiturient und die Studentin aber auch bei den Lernenden. „Die meisten Studierenden verfügen zwar über das nötige Funktionswissen, um technische Geräte zu bedienen“, so Lisa-Marie Brade, „doch auch das Anwendungswissen muss gestärkt werden.“ Hier gebe es noch viele Unsicherheiten: Welche Quellen dürfen verwendet werden – und welchen Mehrwert hat ein digitales Werkzeug überhaupt? Brade sieht in mehr Bildung und Weiterbildung den Schlüssel, um im Bereich der digitalen Kompetenzen aufzuholen. Maximilian Henningsen fordert zusätzlich klare Planungssicherheit durch den Bund: „Die Länder werden nicht handeln, solange sie nicht wissen, wie lange eine Finanzierung gesichert ist.“
Vernetztes Denken in einer Bildungsregion
Welchen Einfluss können Haltungsfragen auf die Transformationsprozesse im Bildungssystem haben – und welche Rolle spielen die einzelnen Akteure beim digitalen Mindset? Darüber diskutierten in der Panel-Diskussion im Anschluss Expert:innen aus unterschiedlichen Bereichen. Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn, machte sich in der Frage der Bildungsübergänge für eine Subjektperspektive stark: „Kinder und Jugendliche sind in verschiedenen Kontexten unterwegs, vertikal wie horizontal.“ Statt in abgeschlossenen Systemen wie Schule, Universität oder außerschulisches Lernen zu planen, müsse in der Frage der digitalen Transformation im Zusammenhang gedacht werden. Der Ansatz der Bildungsregionen könne hier sehr hilfreich sein.
Auch Ilka Wolter, Leiterin der Abteilung „Kompetenzen, Persönlichkeit, Lernumwelten“ am Leibniz-Institut für Bildungsverläufe, argumentierte in eine ähnliche Richtung – und betonte, dass Bildung nicht nur im formellen Kontext innerhalb einer Bildungseinrichtung stattfindet. Beim informellen Lernen in der Familie etwa würden Kinder nicht nur durch passives Beobachten lernen, sondern auch durch aktives Miteinander-Machen. Schon sehr junge Kinder würden auf diese Weise digitale Medien aktiv erleben – und müssten daher etwa die Fähigkeit der Selbstregulation erlernen.
Digitale Teilhabe für alle Erwachsenen
Hannes Schröter, Abteilungsleiter „Lehren, Lernen, Beraten“ beim Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V., erinnerte daran, dass insbesondere auch Menschen mit geringem Bildungsniveau berücksichtigt werden müssen, wenn es um die Stärkung von digitalen Kompetenzen geht. Um ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu fördern, müsse man Ängste nehmen. Genau an diesem Punkt knüpfen Angebote wie der Digitalführerschein an, den Michael Littger, Geschäftsführer von Deutschland sicher im Netz e.V., vorstellte: Mit dem kostenlosen Angebot sollen digitale Kompetenzen für alle Altersgruppen messbar und zertifizierbar gemacht werden.
Heike Marita Hölzner, Professorin für Entrepreneurship und Mittelstandsmanagement an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, bereicherte die Diskussion um die Perspektive der Hochschulen und der Wirtschaft: Angestoßen durch die Erfahrung der Pandemie, sei jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um Bildung neu zu gestalten, neue didaktische Ansätze an den Hochschulen auszuprobieren und auch das unternehmerische Handeln einem Update zu unterziehen, sagt sie. „Dieses Momentum sollten wir jetzt nutzen.“
MakerLabs: Freiräume für die digitale Zukunft
Ins Handeln kommen und Vernetzung über die Grenzen einzelner Bildungsbereiche hinaus vorantreiben – unter diesem Motto stand die gesamte Veranstaltung des Dialogforums. Zum Abschluss präsentierte Melissa Opitz ein Praxisbeispiel ihrer Organisation „Save the Children“, der größten unabhängigen Kinderrechtsorganisation der Welt. In dem Projekt „MakerLabs“ wird der Vernetzungsgedanke bereits umgesetzt: Bibliotheken, Grundschulen oder Jugendfreizeiteinrichtungen können in ihren Räumlichkeiten „Freiräume für die digitale Zukunft“ schaffen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, die im Bildungssystem benachteiligt sind. Gemeinsam mit dem Fachpersonal vor Ort werde entschieden, welche digitalen Fähigkeiten ausgebaut werden sollen – und welche Hardware dafür notwendig ist. Vom Roboter bis zum 3D-Drucker ist hier vieles möglich. „Die Kinder freuen sich, alles auszuprobieren!“
Am Ende des facettenreiches Nachmittags steht die Erkenntnis: In den einzelnen Bildungsbereichen ist bereits viel Wissen über die Kultur der Digitalität und die Vermittlung und Sicherung digitaler Kompetenzen vorhanden. Damit das digitale Mindset auch bereichsübergreifend fruchten kann, muss es nun an die Vernetzung der einzelnen Bereiche gehen und insbesondere die Bildungsübergänge in den Blick genommen werden. Mit dem neuen Format der Experimentierräume will das Netzwerk Bildung Digital genau das erreichen. Zwischen April und Dezember 2022 wird allen Interessierten insgesamt drei Mal die Möglichkeit angeboten in einem offenen Prozess an konkreten Themen und Herausforderungen der digitalen Bildung mitzuarbeiten. In diesen moderierten Veranstaltungen arbeiten die bildungsbereichsübergreifende Arbeitsgruppen mit Hilfe von Methoden aus dem Design Thinking an konkreten Fragestellungen rund um die digitale Bildung.
Außerdem startete das Netzwerk Bildung Digital einen Leitlinienprozess für digitale Bildung, bei dem die Schwarmintelligenz des Netzwerks genutzt wurde: Ein Fragebogen richtete sich bis 13. April 2022 an alle Akteure aus dem Netzwerk, in Kürze finden darüber hinaus Workshops statt, in denen Bildungspraktiker:innen und Expert:innen aus allen Bildungsbereichen zusammenkommen und ihre verschiedenen Perspektiven einbringen, um die Weiterentwicklung der digitalen Bildung in Deutschland voranzubringen. Jacob Chammon appellierte in diesem Zuge auch noch einmal an alle Teilnehmenden: „Lasst uns gemeinsam ins Handeln kommen!“