Veranstaltungsbericht

Wie Vernetzung gelingt – Der erste Experimentierraum des Netzwerk Bildung Digital

Eigentlich war das neu entwickelte Format „Experimentierräume“ des Netzwerk Bildung Digital dazu gedacht, konkrete Konzepte zu erarbeiten und bereichsübergreifende Projektideen anzustoßen. Doch schon zum Auftakt am 27. April zeigte sich: Die Teilnehmenden waren eher an einem informellen Austausch interessiert. Dazu gab es an insgesamt drei Online-Terminen bis zum 22. Juni dann reichlich Gelegenheit – mit spannenden Ergebnissen.

Klaus Lüber 16.08.2022

Kita, Grundschule, weiterführende Schule, Universität, Berufskolleg – sucht man eine grafische Repräsentation für biografische Wege von Lernenden durch Bildungseinrichtungen, landet man schnell bei der Perlenkette: aneinander anschließende, aber prinzipiell voneinander eher getrennte Bereiche. Das sei zwar ein schönes Bild, die Bildungskette in der Realität auf kommunaler Ebene sei aber heterogener, sagt Tobias Hasenberg. „Zur Bildungskette zählen auch Bereiche wie die Familienbildung oder die sogenannte außerschulische Bildung. In allen Bildungsbereichen sind – je nach Größe der Stadt – unterschiedliche Akteure eingebunden: die Kommune, freie Träger und kommerzielle Anbieter. Auf dieser Ebene sieht das dann weniger aus wie eine Kette, sondern eher wie ein komplexes Mosaik.“

Hasenberg ist Koordinator „Masterplan Digitale Bildung Dortmund“ im Fachbereich Schule, Abteilung Digitale Bildung, der Stadt Dortmund. Als Teilnehmer des ersten von drei „Experimentierräumen“, die das Netzwerk Bildung Digital im Laufe des Jahres 2022 durchführt, ging es ihm unter anderem darum, Hilfestellung zum Aufbau kommunaler Vernetzungsstrukturen zu geben. Aus Sicht der im Netzwerk vertretenen Bildungsinitiativen sei es schließlich entscheidend zu verstehen, an wen man sich mit seinen Projektvorschlägen wenden könne und bei wem der beste Vernetzungseffekt zu erwarten sei.

Kommunen als Schnittstellen

„Für den schulischen Bereich kann es zum Beispiel viel sinnvoller sein, sich statt an das Schulverwaltungsamt an diejenigen zu wenden, die selbst Projekte begleiten – etwa die Mitarbeitenden in den Bildungsbüros oder den Medienzentren“, berichtet Hasenberg. Diese wären am ehesten in der Lage, eine Vielzahl von Schulen zu erreichen. Habe man den richtigen Zugang gefunden, sei es entscheidend, die eigenen Kompetenzen verständlich und auf den Punkt zu kommunizieren. „Das erhöht die Chancen, auf Verwaltungsebene gehört zu werden, enorm. Schließlich muss eine Auswahl aus einer Vielfalt von Angeboten getroffen werden“, sagt er.

Insbesondere, wenn Angebote sich an verschiedene Bildungsbereiche richten, komme der Kommune eine Schnittstellenfunktion zu, so Hasenberg: „Die Kommune ist meist in allen Bildungsbereichen beteiligt. Die Mitarbeiter:innen in den Verwaltungen können dadurch zumindest Kontakte entlang der gesamten Bildungskette herstellen oder sogar bestehende Netzwerke entlang der Bildungskette aktivieren.“

Weniger Projektarbeit, mehr Austausch

Hasenbergs konkreter Impuls an seine Mit-Netzwerkteilnehmenden ist ein gutes Beispiel für das Potenzial des neuen Formats, das sich aus insgesamt drei Online-Terminen zusammensetzt. Etwas anders, als ursprünglich geplant, ging es bei den ersten Treffen nicht darum, gemeinsam an konkreten Projekten zu arbeiten, sondern sich intensiv untereinander zu vernetzen, die jeweiligen Bedarfe der Teilnehmenden zu ermitteln und mögliche Kooperationen einzugehen. Von Anfang an wurde viel geredet und diskutiert, dabei nicht nur eigene Anliegen kommuniziert, sondern grundsätzlich über die aktuelle Situation im Bestreben um moderne Unterrichtsentwicklung und bereichsübergreifende Bildungskonzepte reflektiert.

Dies zeigte sich bereits zum ersten Termin am 27. April. Nach einem Call for Participation wurden, basierend auf den eingereichten Themen, insgesamt vier Gruppen in einem Pre-Matching-Verfahren ausgewählt. Ermittelt wurden die Bereiche Digitale Teilhabe, Kompetenzrahmen und Zertifizierung, Stärkung der Lehrenden und Bildungsinnovation. Zusammengestellt wurden die Arbeitsteams zum einen themenorientiert, um Synergien zwischen Bedarfen, Fragestellungen und eingereichten Themen zu ermöglichen. Auf der anderen Seite war es der Anspruch, unterschiedliche Expertisen in all ihrer Heterogenität entlang der gesamten Bildungskette abzubilden.

 

Punktuelles, bereichsübergreifendes Teilen

Als es in den Kleingruppen schließlich darum ging, eine konkrete Fragestellung zu entwickeln und den Fokus des Arbeitsauftrags festzulegen, wurde deutlich: Es besteht weniger das Bedürfnis nach einem moderierten Arbeitsauftrag als nach einer Möglichkeit, sich zu bereits bestehenden Projekten und Expertisen auszutauschen und Synergien zu suchen. Gabi Netz, Projektleiterin „vhs-Lernportal“ beim Deutschen Volkshochschul-Verband (DVV) formulierte es so: „Ich glaube, am sinnvollsten ist das punktuelle, bereichsübergreifende Teilen dessen, was wir schon entwickelt haben und von dem wir denken, dass es woanders gut aufgehoben wäre.“ Beispielsweise hätte man aufseiten des DVV bereits viel Material entwickelt, um Kursleiter:innen in digitalen Kompetenzen zu schulen. „Das ist alles da, wurde alles mit Steuergeldern finanziert. Und das würde ich jetzt gerne mit anderen Multiplikatorenstrukturen teilen, um mehr Reichweite zu generieren“, sagt sie.

Sehr konkret wurde auch Mechthild Brachmann. Als Lehrerin und Geschäftsführerin des AKNM – ArbeitsKreis Neue Medien integriert sie digitale Medien seit über 20 Jahren innovativ in die frühkindliche Bildung. Bislang wurden 160.000 Kinder zwischen fünf und sieben Jahren in Präsenzangeboten erreicht und insbesondere für Nachhaltigkeitsthemen begeistert. Jetzt gehe es darum, in die Breite zu kommen und die digitalisierten Projektangebote der steigenden Nachfrage entsprechend chancengerecht und flächendeckend anzubieten. Für eine beschleunigte Umsetzung in der Fläche bräuchte es Finanzierungshilfen und starke und verlässliche Partner wie das Netzwerk Bildung Digital. Besonders interessant für Brachmann: bestehende Netzwerke vor Ort wie das der Volkshochschulen bzw. der Transferagenturen. Gabi Netz wiederum sieht das Potenzial der Volkshochschulen nicht nur in der Skalierung bereits erprobter Konzepte, sondern in der Sensibilisierung gerade benachteiligter Familien für das Thema Bildung: „Es ist entscheidend, nah an den Menschen zu sein – und zwar entlang der gesamten Bildungskette. Die VHS als lokaler Akteur kann hier eine wichtige Rolle spielen im Sinne der Kommunikation und Beratung.“  

 

Digitalisierungsagent:innen für Schulen

Beim zweiten Treffen am 17. Mai war das Format bereits an die Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst. Statt eines Pre-Matchings und der Arbeit in kuratierten Kleingruppen stand der individuelle Austausch im Fokus. Visitenkarten wurden ausgefüllt und die eigene Institution oder Initiative auf dem Conceptboard der Veranstaltung eingetragen. Das Ziel: Synergien herstellen, Kooperationen anbahnen.

Christina Walther, Geschäftsführerin von witelo e. V., einem Netzwerk von MINT-Lernorten in Jena, wollte sich etwa zur Frage austauschen, wie man die vielen unterschiedlichen Interessen im Feld digitaler Transformationsprozesse zusammenbringen kann. „Aus unserer Erfahrung herrscht hier eine große Verantwortungsdiffusion. Und das macht es natürlich schwer, mit innovativen Konzepten in die Schulen zu gehen.“ Dabei müsse man dringend ins Handeln kommen. „Die Spanne zwischen fortschrittlichen und abgehängten Schulen wird immer größer“, meint sie. Ein Ansatz könnte sein, Medienberater:innen in Zukunft direkt in der Schule anzustellen. Genau daran arbeitet Walther mit ihrem Team. „Dann wären sie direkt eingebunden und würden, wie im Augenblick leider noch so oft, nicht als Fremdkörper wahrgenommen werden“, sagt sie. „Digitalisierungsagent:in“ nennt witelo diese neue Personalkategorie.

Kinder als Botschafter:innen ihrer selbst

Die Frage, wie man Kita und Grundschule für das digitale Lehren und Lernen am besten gewinnen könne, war auch für Mechthild Brachmann von Anfang an entscheidend. Ihre Lösung: die Kinder zu den Botschafter:innen ihrer selbst machen, will sagen, die Kinder beim Wissenserwerb über die spezielle AKNM-Medienarbeit derart zu unterstützen und zu begeistern, dass sie diese selbst gegenüber Pädagog:innen und Eltern begründen und einfordern. An Amelie Rebmann und Laura Marie Treder, die für das Hector-Institut für Empirische Bildungsforschung der Universität Tübingen im Bereich Hochbegabtenförderung am Experimentierraum teilnahmen, richtete Brachmann deshalb auch die Bitte, sich nicht nur auf Begabte zu fokussieren, sondern es für die Breite anzupassen.

Besonders wichtig in diesem zweiten wie auch im dritten Treffen am 22. Juni war der Gruppe die Reflexion darüber, wie Vernetzung besser gelingen könne. „Für mich entscheidend ist immer die Frage, welche Stakeholder ich für ein Projekt anspreche“, so Christina Walther von witelo. „Dazu brauche ich einerseits einen guten Überblick, wer was vor Ort macht. Gleichzeitig muss ich aber auch bundesweit gut vernetzt sein. Da sind viele Player beteiligt, von der einzelnen Lehrkraft bis zum Bundesbildungsministerium.“ Dazu hat Tobias Hasenberg die Erfahrung gemacht: Je spezifischer der Fokus, desto besser funktioniere auch die bundesweite Vernetzung. Würde der Blickwinkel breiter, sähe das anders aus.

Dialog mit der Politik

Mit Blick auf die weiteren Veranstaltungen des Netzwerks äußerten viele Teilnehmende den Wunsch, in den direkten Austausch mit der Politik zu kommen. Es könne nicht sein, so Nils Holtmann, der für die Transferagentur Niedersachsen das Thema Bildung und Lernen im Alter bearbeitet, dass Transformationsprozesse am Ende von ehrenamtlicher Tätigkeit gestemmt werden müssen, wie das aktuell leider noch an vielen Stellen der Fall sei. „Es braucht Konstanz und das geht nicht ohne die entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen. Und diese bereitzustellen, ist auch Aufgabe der Politik“, betont er. Ganz ähnlich äußerte sich auch Mechthild Brachmann: „Wenn ich höre, dass es die Lösung sein soll, Lehrer:innen zur Selbstorganisation zu animieren, dann halte ich das nach meinen Erfahrungen für gefährlich. Das wird so nicht funktionieren. Die Politik soll und darf sich nicht raushalten aus Schulentwicklungsprozessen. Im Gegenteil. Ihre umfassende und zeitnahe Unterstützung ist dringender denn je, um die bereits oft im Verborgenen vorhandenen, erfolgreichen Transformationspraktiken auf Kurs und vor allem in Fahrt zu halten.“ Und auch Tobias Hasenberg sieht es als wichtige Aufgabe insbesondere des BMBF als Projektträger, mit dem entstandenen Netzwerk in Dialog zu treten.


Der Experimentierraum „Digitale Kompetenzen entlang der Bildungskette sichern“ fand vom 27. April bis zum 22. Juni statt. Es folgen der Experimentierraum „Institutionen entlang der Bildungskette stärken“ vom 21. September bis zum 9. November und der Experimentierraum „Rahmenbedingungen entlang der Bildungskette neu denken“ vom 19. Oktober bis zum 6. Dezember.