Veranstaltungsbericht

Rahmenbedingungen entlang der Bildungskette neu denken

Beim dritten Dialogforum wanderte der Blick von der institutionellen Ebene nach außen: Wie können wir die Rahmenbedingungen entlang der Bildungskette gestalten, um alle Lernenden und Lehrenden an der Kultur der Digitalität teilhaben zu lassen?

Anja Reiter 19.10.2022

Häufig bleibt Deutschland ein Land der Leuchttürme, wenn es um die digitale Transformation der Bildung geht. Best Practices aus der Bildungslandschaft werden gerühmt, herausragende Schulen ausgezeichnet, glänzende Preise an digitale Vorreiter-Projekte vergeben. „Wir haben uns in der digitalen Transformation in Deutschland auf die Leuchttürme verlassen“, so Jacob Chammon, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung, anlässlich des Auftakts des dritten Dialogforums. Darüber hinaus würden einzelne Bereiche, wie etwa die frühkindliche Bildung oder die Erwachsenenbildung, immer wieder komplett vergessen. „Jetzt ist es wichtig, dass wir alle mitnehmen.“

Um alle Gruppen und Generationen teilhaben zu lassen – von den Kita-Kindern bis zu den Senior:innen – müssten nicht nur die einzelnen Institutionen gestärkt werden, sondern auch deren Rahmenbedingungen neu gedacht werden, etwa in Sachen Ausbildung, Qualifizierung oder Ausstattung. Nur so könnten Begriffe wie Chancengerechtigkeit und Teilhabe mit Leben gefüllt werden. „Es geht darum, Teilhabe in der Demokratie möglich zu machen“, so Chammon, „und digital mündige Bürger:innen zu schaffen.“ Basierend auf diesen Grundannahmen formulierte Moderatorin Hatice Akyün die Leitfragen für das dritte Dialogforum: Welche Rahmenbedingungen sind notwendig auf dem Weg der digitalen Transformation? Welche zentralen Akteure müssen beteiligt sein, um diese umzusetzen? Und wie können Rahmenbedingungen überhaupt verändert oder flexibilisiert werden?

Smart-City-Projekt: Digitalisierung auf kommunaler Ebene

Schon in vergangenen Veranstaltungen des Netzwerk Bildung Digital wurde klar, dass die Kommune einen ganz zentralen Ankerpunkt bei der Gestaltung der Rahmenbedingungen darstellt. Am Beispiel der Stadt Gütersloh zeigte Dr. Dennis Köthemann, pädagogischer Leiter der dortigen Volkshochschule, wie Digitalisierung auf kommunaler Ebene für alle greifbar gemacht werden kann. Als eine von bundesweit 73 Modellgemeinden erhielt Gütersloh eine Förderung im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Smart Cities made in Germany“. „Mit Smart City wird Digitalisierung in der Kommunen greifbar gemacht“, so Köthemann, „hier arbeiten Verwaltung und Zivilgesellschaft zusammen.“

Die Volkshochschule sei nur einer von vielen beteiligten Akteuren. „Bei uns laufen alle koordinativen und informativen Fäden zusammen.“ Eine große Herausforderung sei es, ein passgenaues Angebot für die unterschiedlichen Wissensniveaus zu schaffen. „Es gibt Menschen, die grundsätzlich Hilfe beim Bedienen ihres Smartphones brauchen“, so Köthemann. Andere würden sich für relativ fortgeschrittene Technologien wie 3-Druck interessieren. Herausfordernd für die Volkshochschule seien außerdem die Teilnehmendenakquise und die damit zusammenhängende zurückhaltende Nutzung des breiten Angebots in manchen Bevölkerungsgruppen. „Unser Ansatz wäre es, über den Wochenmarkt an Bürger:innen zu kommen, die noch nicht unmittelbar engagiert sind.“

Kollaboration als Kern des digitalen Lernens

In einem im Chat hochgelobten Impulsvortrag stellte Cornelia Schneider-Pungs, Leiterin des Fachvertriebs Schulen bei Microsoft Deutschland, ihre Thesen für „Neues Lernen“ vor. Dabei verwies sie auf den Gegensatz zwischen formellem und informellem Lernen: Digitales Lernen sei viel informeller als die Vermittlung anderer Inhalte. Beim digitalen Lernen machte Schneider-Pungs die Microsoft-Perspektive deutlich, deren Kern die Kollaboration ist: Inhalte werden für alle erstellt, können geteilt und weitergenutzt werden. „Die Grenzen zwischen der autoritären Lehrperson und der empfangenden Lernperson verschwimmen“, so Schneider-Pungs. „Es wird mehr ein Coaching seitens der Lehrenden und Teamwork seitens der Lernenden.“   

Doch wie müssen sich die Rahmenbedingungen verändern, um sich an diese neue Form des Lernens anzupassen? Schneider-Pungs benannte das verflechtete Schulsystem als „ein Riesenproblem“, das es zu lösen gelte. Hier zeigte sich Schneider-Pungs aber zuversichtlich: Auf Seiten der Bundesländer und ihrer jeweiligen Länder-Strategien sei noch mehr Vereinheitlichung und Abstimmung möglich; der Bund sei im Moment dabei, die dauerhafte Finanzierung von Digitalisierungs-Projekten sicherzustellen. Innovationsförderliche Strukturen könnten auf Seiten des Bunds durch zentrale Lösungen und eine gute Moderation des Föderalismus geschaffen werden, auf Seiten der Länder durch Bündelung der Ressortaktivitäten und den Aufbau von Beratungsstrukturen. „Das Herz der Umsetzung ist aus meiner Sicht aber die Kommune“, so Schneider-Pungs. „Es ist das neuralgische Zentrum, wo das Lernen stattfindet.“

Coaching für Verwaltungsmitarbeiter:innen

Um Veränderungswillen auf den unterschiedlichen Ebenen – von der Verwaltung über die Kommune bis zu schulischen und außerschulischen Lernorten – ging es auch in der anschließenden Panel-Diskussion. Wie die Verwaltung das Thema der digitalen Transformation in Angriff nimmt, skizzierte Anika Wilczek, Head of Growth der DigitalService GmbH des Bundes. Um die Verwaltung zu modernisieren, setzt die DigitalService GmbH auf zwei Fellowship-Programme: Tech4Germany bringt Verwaltungsmitarbeiter:innen der Bundesministerien mit Menschen aus der Privatwirtschaft zusammen, um an konkreten Digitalvorhaben der Bundesverwaltung zu arbeiten. Im Rahmen von Work4Germany bekommen Verwaltungsmitarbeiter:innen sechs Monate lang einen Coach aus der Privatwirtschaft an die Seite gestellt, um etwa agile Entwicklungsmethoden zu erlernen und diese mit in ihren Arbeitsalltag zu nehmen.

Weil es nicht ausreichend Plätze für alle Interessierten gibt, stoßen die Programme jedoch immer wieder an Grenzen. Im zweiten Schritt sei es daher notwendig, die Ideen zu systematisieren. „Ohne Verwaltungsreform werden wir nicht gut und flächendeckend digitalisieren können“, konstatierte Anika Wilczek. Markus Lindner, Gesamtleiter der Transferagentur für Großstädte, nahm in diesem Punkt eine Gegenposition ein: „Eine große Verwaltungsreform ist schwierig und langwierig. Unser Ansatz ist es eher, unter den bestehenden Rahmenbedingungen besser zu werden.“ Dazu gehöre einerseits, dass der Verwaltungssektor mehr Verständnis für das hoch-dynamische Feld der Digitalisierung entwickeln müsse. Anderseits müsste sich die Kommunalverwaltung auch mit den inhaltlichen Fragen der digitalen Bildung vor Ort auseinandersetzen.

Bürgerrat: Beratungsstelle für Politik

Mit den inhaltlichen Fragen der digitalen Bildung setzt sich auch der Bürgerrat Bildung und Lernen auseinander, dem Julien Werner als Bürgerbotschafter angehört. Dieses Gremium bringt Menschen unterschiedlicher Altersklassen aus ganz Deutschland zusammen, die zufällig ausgelost wurden, um gemeinsam Ideen für ein zukunftsfähiges Bildungssystem zu entwickeln. Das Ziel sind konkrete Empfehlungen, die der Bürgerrat an die Politik in Bund, Ländern und Kommunen übergibt. „Als ständiger Bürgerrat können wir als Beratungsstelle für die Politik agieren“, so Werner. „Unser Ziel ist es, dass die Politik uns aktiv hinzuzieht.“

An der Ausarbeitung der Empfehlungen sind auch Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren beteiligt. Sie bringen ihre Perspektiven in Kinder- und Jugendwerkstätten ein, deren Ergebnisse in die Beratungen des Bürgerrats einfließen. Acht konkrete Empfehlungen für ein Sofortprogramm hat der Bürgerrat bereits formuliert – darunter die Reform der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften und die Stärkung der Berufsorientierung. Eine Empfehlung beschäftigt sich ausführlich mit der Digitalisierung: So empfiehlt der Bürgerrat die Schaffung einer bundesweit einheitlichen Bildungscloud und das Einrichten von Planstellen für Medienberater:innen an Schulen.

Viel Potenzial, wenig Verantwortung

Insgesamt zeigten sich die Diskutant:innen optimistisch, dass es bundesweit ausreichend Potenzial zur Veränderung gebe – wenn auch zu wenig personelle Verantwortung. „Wir haben viel mehr Potenzial, als wir uns das manchmal zutrauen. Es gibt viele Projekte mit Strahlkraft“, so Anika Wilczik. Was ihr jedoch fehle, seien prominente, streitbare Politiker:innen. „Ich sehe keinen, der sich die Digitalisierung der Verwaltung auf die Fahnen schreibt. Ich hätte gerne jemanden, der die Verantwortung übernimmt und die Themen vorantreibt.“ 

Wenn es um die Gestaltung der Rahmenbedingungen entlang der Bildungskette geht, brachten die Speaker:innen zahlreiche vielversprechende und diskussionswürdige Argumente hervor. Interessierte können diese demnächst in den Experimentierräumen des Netzwerk Bildung Digital Ideen weiterdenken und selbst neue Konzepte entwickeln. Der dritte Experimentierraum zum Schwerpunkt Rahmenbedingungen ist am 19. Oktober 2022 gestartet. Dort haben Interessierte die Möglichkeit, gemeinsam mit Akteur:innen aus verschiedenen Bildungsbereichen an den Herausforderungen und Fragestellungen zu den Rahmenbedingungen digitaler Bildung zu arbeiten.

Weitere Informationen zu unserem Format Experimentierräume finden Sie hier.