Veranstaltungsbericht

Vernetzung weiterdenken – Präsenzveranstaltung des Netzwerk Bildung Digital

Am 15. November 2022 trafen sich  ausgewählte Teilnehmende des Netzwerk Bildung Digital zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren in Präsenz. Diskutiert wurde unter anderem über mehr Vernetzungsmöglichkeiten entlang der ganzen Bildungskette und welche Rahmenbedingungen vor allem die Politik schaffen muss, um die notwendige Transformation des Bildungssystems voranzubringen.

Klaus Lüber 15.12.2022
Phil Dera

Netzwerke leben vom Austausch ihrer Partner:innen. Und dieser gelingt, wie zweieinhalb Jahre Pandemie deutlich gezeigt haben, noch intensiver durch den persönlichen Kontakt vor Ort. Insofern war es etwas ganz Besonderes für die Teilnehmenden des Netzwerk Bildung Digital, am 15. November endlich die Gelegenheit zu bekommen, sich live in Berlin zu treffen. Schließlich geht es ja darum, besonders diejenigen Akteure miteinander ins Gespräch zu bringen, die sonst eher wenig Kontakt miteinander haben: Kita-Erzieher:innen mit Lehrkräften aus der beruflichen Bildung, Grundschul-Pädagog:innen mit Seminarleiter:innen an Volkshochschulen, Universitätsprofessor:innen mit Mitarbeiter:innen aus den Schulverwaltungen. „Wir müssen endlich die komplette Bildungskette in den Blick nehmen“, so Jacob Chammon, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung, in seinen einleitenden Worten zum Präsenztreffen des Netzwerks. „Und zwar von der individuellen zur institutionellen und systemischen Ebene entlang der Bildungskette.“

Die Frage ist: Wie orientiert man sich in diesem komplexen Umfeld? Wie treibt man Bildungsinnovation bereichsübergreifend und multiperspektivisch voran? Wenn doch im Augenblick schon die Beschäftigung mit der Digitalisierung in jeweils einem Bildungsbereich eine Herausforderung darstelle, wie Jonas Vollmer, Referent der Fachstelle Digitalisierung in der schulischen beruflichen Bildung in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Berlin, eine Paneldiskussion zum Thema einleitet. Entscheidend für ihn: das Setzen gemeinsamer Ziele. „Wir müssen uns immer wieder klarmachen, wie transformativ Digitalisierung eigentlich wirkt. Es geht hier um ganz grundlegende Prozesse, die unter ein neues Vorzeichen gestellt werden.“ Außerdem sei es wichtig, eine gemeinsame Sprache und Kategorien zu etablieren, gerade wenn es um die Kopplung einzelner Bildungsbereiche geht.

Phil Dera

Fünf Leitlinien

Letzteres gelingt umso besser, wenn alle Akteure entlang der Bildungskette wissen, wovon sie sprechen. Das sei beim Thema Bildung in der Digitalität in vielen Bereichen aber gerade nicht gegeben. „Das beginnt oft schon mit dem Begriff Bildung allein“, so Tobias Hasenberg, Koordinator des Masterplans Digitale Bildung der Stadt Dortmund. „Wenn Sie etwa Kita-Angestellte fragen, ob das eigentlich Bildung ist, was sie Tag für Tag machen, bekommen Sie sehr wahrscheinlich ganz unterschiedliche Antworten.“ Um hier mehr Orientierung zu bieten, hat das Netzwerk Bildung Digital zusammen mit den Teilnehmenden des Netzwerks Bildung Digital fünf zentrale Leitlinien entwickelt. Sie sollen aufzeigen, wo die Schlaglichter des bereichsübergreifenden Diskurses liegen sollten. Neben einer wie von Jonas Vollmer geforderten klaren Zielsetzung benötige man eine offene Haltung, entsprechende technische Ausstattung, Fortbildungs- und Beratungsprogramme sowie länderübergreifenden Austausch über alle Bildungsbereiche hinweg, so die kondensierten Erkenntnisse der beteiligten Akteure.

Natürlich reicht es nicht aus, Handlungsempfehlungen zu definieren, wenn die entsprechenden Rahmenbedingungen für deren Umsetzung in der pädagogischen Praxis nicht gegeben sind. Genau daran arbeitet das Netzwerk seit seinem Start Anfang 2021, und dies war auch einmal mehr der Auftrag, den man sich für das Präsenztreffen gegeben hat. Dazu gehört auch, sich immer wieder die Perspektiven und Bedarfe des pädagogischen Fachpersonals entlang der ganzen Bildungskette vor Augen zu führen. Diese sind, trotz der großen Unterschiede einzelner Bildungsbereiche, nämlich erstaunlich ähnlich. Was also brauchen Kita-Erzieher:innen, Gymnasiallehrer:innen und Dozierende an Volkshochschulen gleichermaßen? Regina Kittler, Sprecherin für Kultur und Bildung der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Marzahn-Hellersdorf, hatte eine klare Antwort: Wille, Kraft und Zeit. „Es ist ja kein Geheimnis, dass viele Pädagog:innen gerade an der Belastungsgrenze arbeiten.“ In dieser Situation noch Schulentwicklung zu betreiben und die dafür notwendigen Kompetenzen zu vermitteln, sei extrem herausfordernd. „Im Grunde geht das nur, indem man Weiterbildungsoptionen direkt in die Arbeitszeit integriert.“

Phil Dera

Anbindung an regionale Bildungspraxis

Die Fundierung in der jeweiligen pädagogischen Praxis vor Ort ist auch für Tobias Hasenberg ein Schlüssel für die Weiterentwicklung des Bildungssystems entlang der ganzen Bildungskette. Eine bereichsübergreifende Vernetzung funktioniere dann am besten, so Hasenberg, wenn man sie so konkret wie möglich auf die Situation der jeweiligen Bildungsakteure herunterbricht und sie ressourcentechnisch überhaupt erst möglich macht. „Die allgemeine Forderung, man solle sich doch bitte vernetzen, ist relativ wertlos, solange man nicht die Voraussetzung dafür schafft.“ Gleichzeitig brauche es Menschen, welche die Gesamtstruktur, also auch die Bildungsübergänge, im Blick behalten. Leider gebe es davon augenblicklich noch zu wenige. „Wenn überhaupt sind das einzelne Personen in Verwaltung, in Initiativen, in Stiftungen. In diesem Feld brauchen wir dringend mehr Kompetenz. Ziel dabei muss es sein, sich mit den jeweiligen Akteuren zu vernetzen und Wissen über sie zu transferieren.“

Von der theoretischen Ebene immer wieder Anbindung an regionale Bildungspraxis zu suchen, ist auch Elisabeth Allmendinger wichtig. Als Bereichsleiterin Bildungspolitik des Digitalverbands Bitkom brachte sie die Perspektive der technischen Möglichkeiten digital gestützter Bildung in die Runde ein. Möglichkeiten, wie sie viele Schulen bereits nutzen. Seit 2016 zeichnet ihr Verband solche digitalen Vorreiter im Bereich der Smart School Initiative aus. Einerseits sei es wichtig, solche guten Beispiele zu ermitteln. „Andererseits wollen wir darüber natürlich auch in die Breite wirken und auch an andere Bildungsinstitutionen das Signal senden: Es ist schon vieles möglich, ihr müsst das Rad nicht neu erfinden und habt jederzeit die Möglichkeit, euch gerade zu neuen Technologien auszutauschen.“ Im Sinne hatte Allmendinger hier etwa adaptive Lernsysteme oder Virtual-Reality-Anwendungen, die zwar enorm große Potenziale im pädagogischen Kontext entfalten könnten, von Pädagog:innen im Augenblick aber noch selten eingesetzt werden, weil ihnen oft noch nicht ganz klar sei, wie sie im konkreten Unterricht eingesetzt werden könnten.

Die Perspektive der allgemeinen Weiterbildung brachte Christina Bellmann, Referentin Stabsstelle Digitalisierung im Deutschen Volkshochschul-Verband mit in die Paneldiskussion ein. Eine kürzlich durchgeführte Standortbestimmung unter den einzelnen Instituten ergab ein überwiegend positives Bild: „Vieles funktioniert schon gut, es findet Wissenstransfer statt, wir haben Multiplikatoren.“ Die große Herausforderung sei, wie in anderen Bildungseinrichtungen auch, die nach wie vor enorme Disparität zwischen den einzelnen Volkshochschulen. „Da muss die Politik dringend die Verantwortung übernehmen. Wir brauchen eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur“, so Bellmann.

Phil Dera

Hohe Disparität unter Bildungsinstitutionen

Aber übernimmt die Politik nicht schon Verantwortung? Ist nicht durch den Digitalpakt etwas angeschoben, und durch dessen Fortsetzung verstetigt worden, was die Rahmenbedingungen für viele Bildungsakteure verbessert? Zumindest für Berlin kann Jonas Vollmer Erfolge vermelden. Mit der 2021 veröffentlichten Digitalisierungsstrategie Schule in der digitalen Welt konnte man Infrastrukturen aufbauen, verstetigen, sowie Kompetenzen beim pädagogischen Personal aufbauen. Und diese für die Primar-, Sekundar- als auch berufliche Bildung. Besonders positiv sei es, wenn verschiedene Bundesländer eine ähnliche Software nutzen. „Inzwischen nutzen zum Beispiel Brandenburg (Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, LISUM) und Bayern beide Moodle. Dadurch besteht die Möglichkeit, die in einem Bundesland bereits ausgearbeiteten Fortbildungen relativ schnell auch für andere nutzbar zu machen.“

Mit dem Blick auf Gesamtdeutschland und der von Christina Bellmann angesprochenen hohen Disparität bleibe jedoch noch viel Luft nach oben, räumte Regina Kittler ein. Was man brauche, so die Bildungspolitikerin, sei eine wirklich nachhaltige Förderung, eine Unterstützung, die langfristige Planung ermöglicht. „Mit projektbezogenen Mitteln, aus denen sich Unterstützungsprogramme im Augenblick noch vorrangig speisen, ist das nicht zu gewährleisten“, so Kittler. „Da steht die Politik in der Pflicht, für regelhafte, gesetzlich abgesicherte Dauerlösungen einzustehen. Und dafür müssen sich alle Akteure an einen Tisch setzen. Aus Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft.“

Phil Dera

Was können wir tun?

Was also wäre zu tun? Welche Möglichkeiten haben nicht nur Bildungsexpert:innen, sondern im Grunde alle Bürger:innen, Veränderungen anzustoßen? Das war sowohl eine der abschließenden Fragen an das Panel als auch der Arbeitsauftrag, den sich das Netzwerk im Anschluss selbst für das Präsenztreffen vorgenommen hatte. In Kleingruppen hatten die Netzwerkteilnehmenden die Gelegenheit, sich weiter zu den Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung in ihren jeweiligen Arbeitsbereichen auszutauschen. 

 

Dabei stand vor allem die Netzwerkpflege im Vordergrund. „Uns war es wichtig, neben dem Partnernetzwerk auch diejenigen Akteure entlang der Bildungskette einzubinden, die bislang noch nicht Teil des Netzwerkes waren“, so Anne Woltmann, Projektleiterin Netzwerk Bildung Digital, die insgesamt ein sehr positives Fazit zieht. „Für uns war es sehr schön zu sehen, wie das Netzwerk, das wir in den letzten eineinhalb Jahren aufgebaut haben, auch in Präsenz sehr gut funktioniert und den Kontakt zwischen den Akteuren noch vertieft. Und dass es tatsächlich funktioniert, das Silodenken zwischen den Bildungsbereichen aufzubrechen und die unterschiedlichen Akteure miteinander in Kontakt zu bringen.“ Neben einem regen Austausch und dem Fokus auf einem gegenseitigen Kennenlernen wurde dabei besonders intensiv das Thema Partizipation diskutiert. „Das ist ein Aspekt, den wir in Zukunft noch viel stärker in den Fokus nehmen müssen“, so Jacob Chammon. „Wir können die digitale Transformation nur dann voranbringen, wenn alle das Gefühl haben, sie werden gehört.“

Für alle, die nicht bei der Veranstaltung dabei sein konnten, gibt es eine Aufzeichnung des Panelgesprächs.

Phil Dera