Veranstaltungsbericht

Wrap-up – Abschlussveranstaltung des Netzwerk Bildung Digital 2022

Das Netzwerk Bildung Digital kann auf ein ereignisreiches Jahr 2022 zurückblicken. Im Rahmen von drei Experimentierräumen tauschten sich Teilnehmende entlang der gesamten Bildungskette zu den Fragen aus, wie digitale Kompetenzen sinnvoll vermittelt, durch Institutionen gestärkt und Rahmenbedingungen neu gedacht werden können. Ab 2023 haben Teilnehmende und Interessierte die Möglichkeit, sich über die Projektwebsite weiter auszutauschen und zu vernetzen.

Klaus Lüber 09.01.2023

Drei Experimentierräume, zehn DigitalDienstage, drei Dialogforen, die Erarbeitung von Leitlinien zur Weiterentwicklung der digitalen Bildung in Deutschland, eine Präsenzveranstaltung, 1156 Teilnehmende – so lautet die durchaus beeindruckende Bilanz des Jahres 2022 für das Netzwerk Bildung Digital. Da das Projekt im Frühjahr 2023 zumindest in der bisherigen Form nicht weitergeführt wird, war die Jahresabschlussveranstaltung am 7. Dezember 2022 auch der richtige Moment, etwas grundsätzlicher zu werden. Wurde erreicht, was man sich zum Start des Projektes vor zwei Jahren vorgenommen hatte? Dessen Hauptziel war es, möglichst viele Akteure entlang der gesamten Bildungskette miteinander zu vernetzen und in den Austausch zu bringen. 

Der Ansatz, die gesamte Bildungskette in den Blick zu nehmen war auch für das Forum Bildung Digitalisierung, welches das Netzwerkprojekt im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung umsetzte, neu, wie Vorstand Jacob Chammon zugab. „Wir hatten vorher schon einen recht starken Fokus auf Schulen. Das Netzwerk Bildung Digital hat auch uns geholfen, den Blick breiter zu machen und damit auch der Komplexität des Bildungssystems gerechter zu werden.“ Die zentrale Erkenntnis für ihn: alle Bildungsbereiche stehen vor denselben Herausforderungen, auch wenn sich deren pädagogischer und organisatorischer Kontext bisweilen stark unterscheiden. „Das war uns in dieser Deutlichkeit vorher noch nicht bewusst.“

Dr. Catrin Hannken, Leiterin der Unterabteilung „Berufliche Bildung“ im BMBF jedenfalls zeigte sich zufrieden. „Schon seit Jahren wird davon gesprochen, die verschiedenen Ebenen digitaler Bildung besser miteinander zu verzahnen. Und ich denke, das haben wir mit dem Netzwerk erreicht.“ Mit den erarbeiteten Leitlinien seien wichtige Handlungsempfehlungen für die bildungspolitische Arbeit entstanden. Aber auch neu entwickelte, innovative Austauschformate wie der Experimentierraum und DigitalDienstag können spannende Impulse für zukünftige Konzepte geben, so Hannken. „Für uns war das Bereichsübergreifende extrem wichtig, um die verschiedenen Prozesse im Haus besser zu koordinieren. Besonders in der Ausgestaltung des Digitalpakt 2.0 müssen wir es schaffen, alle beteiligten Akteure noch besser einzubinden.“

Soziale Innovationen

Trotzdem bleibt es natürlich herausfordernd, die innerhalb eines sehr ambitioniert gestalteten Programms gesammelten Impulse tatsächlich so zu verstetigen, dass sie dauerhafte Wirkung erzielen. Dieses Problem ist bekannt und seit geraumer Zeit auch Gegenstand universitärer Forschung, wie Prof. Dr. Thomas Gegenhuber in einem Impulsvortrag berichtete. Gegenhuber ist Leiter des Lehrstuhls „Managing Socio-Technical Transitions“ an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz. Gemeinsam mit Andra Pampu, Masterabsolventin Innovation Management, Entrepreneurship and Sustainability an der TU Berlin, stellte er das Konzept der „Open Social Innovation (OSI)“ vor.  Dieses ist  als ein offener, sozialer Innovationsprozess definiert, in dem verschiedene  Stakeholder zusammenkommen, um gemeinsam an neuen Ideen zu arbeiten. Die beiden Forscher:innen waren an einem im Dezember 2021 veröffentlichten Policy Paper beteiligt, in dem Handlungsempfehlungen für die Politik herausgearbeitet wurden, um soziale Innovation im Bildungsbereich zu stärken. Dabei beleuchten die Autor:innen die Chancen und Herausforderungen von Formaten wie #WirvsVirus und #WirfürSchule. 

Dabei waren die von den Forscher:innen formulierten Gelingensbedingungen für entsprechende Projekte auch in den vielen Treffen des Netzwerk Bildung Digital immer wieder Thema: Die Grundlage bilden so gut wie immer gesicherte finanzielle Ressourcen. „Am Anfang steht eine Idee, eine Lösung für ein Problem“, so Andra Pampu. „Im nächsten Schritt versucht man, diese zu skalieren, also in der Breite auszurollen. Das kann mitunter sehr kräftezehrend sein und bringt viele Projektteilnehmende an ihre Grenzen. Vor allem, wenn sie diese ohne Bezahlung, also als Ehrenamt ausführen.“ Dabei stünden den Projekten verschiedene Innovationspfade zur Verfügung, wie Andra Pampu weiter ausführte. So konnte sich etwa die in der heißen Phase der Coronapandemie entwickelte Plattform Corona School skalieren, ohne von vornherein Schulen und Ministerien in die Entwicklung zu involvieren. Ziel des inzwischen in Lern-Fair umbenannten Projektes war es, Schüler:innen individuelle Lernunterstützung zu bieten, um den Unterrichtsausfall zu kompensieren.

Schnittstellen schaffen

Wenn Open Social Innovation im Bildungsbereich dagegen darauf abziele, Neuerungen voranzutreiben, die sich in Curricula oder konkreten Fortbildungsinhalten niederschlagen, dann wäre es notwendig, die beteiligten Institutionen schon von Anfang an mitzudenken und in der Entwicklung von Lösungen einzubeziehen. Ohne es direkt auszusprechen, war klar, dass sich die Forschenden dabei auch auf das Netzwerk Bildung Digital bezogen und auf die Frage, wie dessen über die letzten zwei Jahre akkumuliertes Innovationspotenzial weiter verstetigt werden könnte. Für eine bessere Wirkungsentfaltung und Nutzung von sozialen Innovationen im Bildungsbereich empfehlen Thomas Gegenhuber und Andra Pampu drei zentrale Vorschläge: Zum einen müssten mehr Schnittstellen und Strukturen im Bildungssystem etabliert werden, etwa in Form einer Förderung von Beratungs- und Transferstellen durch das BMBF. 

Zudem wäre es wichtig, Transparenz über die Vielfalt an sozialen Innovationen im Bildungsbereich zu schaffen, etwa durch den Aufbau einer Online-Plattform mit einem strukturierten Überblick über bestehende Angebote. Und drittens müsse die Finanzierung solcher Projekte gesichert sein, etwa indem man möglichst vielseitige Instrumente entlang des Innovationsprozesses verstetigt, etwa durch Förderung, Inpact-Investments, CSR- und staatliche Programme. Eines müsse man sich bei all der potenziellen Veränderungskraft von OSI-Projekten speziell im Bildungsbereich aber immer klarmachen, so die beiden Forscher:innen: Es handele sich zwar um eine fantastische Möglichkeit, den inzwischen an vielen Stellen immer deutlicher zu spürenden Veränderungswillen aus der Zivilgesellschaft nutzbar zu machen. Vieles durfte den Teilnehmenden des Netzwerk Bildung Digital bekannt vorgekommen sein: die Schaffung von Schnittstellen zwischen verschiedenen Bildungsbereichen, die Etablierung von Experimentierräumen für Angebote und Methoden und die Einbindung unterschiedlicher Akteursgruppen. OSI kann damit bestehende strukturelle Maßnahmen ergänzen, unterstützen und verbessern. Aber eines kann es nicht: gute Bildungspolitik ersetzen.

Digitale Dörfer

Besonders relevant wird das Konzept der sozialen Innovation, wenn man ländliche Regionen in den Blick nimmt. Das Projekt „Dorf.Zukunft.Digital (DZD)“ hat sich das Ziel gesetzt, 30 Dörfer aus verschiedenen Kommunen im Kreis Höxter fit für die digital vernetzte Zukunft zu machen. Im Sommer 2020 wurde es im Rahmen der Initiative „Digital für alle“ mit dem bundesweiten Preis für digitale Teilhabe ausgezeichnet. Bis August 2022 erhielten die Gemeinden die Möglichkeit, digitale Anwendungen mit der Dorfgemeinschaft zu erproben, um die Daseinsvorsorge, Teilhabe und Nachbarschaftshilfe sowie das Ehrenamt und Miteinander vor Ort zu stärken. Beteiligt sind 16 Dörfer ohne bisherige Erfahrung mit Digitalprojekten, 14 weitere konnten bereits im 2017 gestarteten Vorgängerprojekt „Smart Country Side (SCS)“ Erfahrungen sammeln. 

Eng in beide Projekte involviert war und ist die aktuelle DZD-Projektleiterin Martina Werdehausen, die im Rahmen des Netzwerk Bildung Digital Abschlussevents von ihren Erfahrungen berichtete. „Am Anfang dachten noch alle, jetzt kommt halt einfach der Bagger und verlegt Breitband. Und es stimmt ja, ohne eine funktionierende Netzanbindung geht es nicht. Das gehört ganz klar zur Daseinsvorsorge.“ Richtig interessant wurde es aber dann, als die Bürger:innen die Gelegenheit bekamen, sich zu überlegen, was genau man mit den neuen digitalen Möglichkeiten erreichen kann. Zu den im Rahmen von Dorfkonferenzen entwickelten Ideen zählen etwa eine Dorf-App, eine digitale Kirche, eine Plattform zur Nachbarschaftshilfe oder eine smarte Bürgerhalle. Davon wurden viele Vorhaben schon umgesetzt, insbesondere der DorfFunk, ein Messenger-Dienst für alle lokalen Belange. „Besonders Sportvereine sind begeistert“, so Martina Werdehausen. Bis Ende des Jahres sollen 124 Dörfer mit dem Tool ausgestattet sein. Auch erhält jedes eine eigene Gemeinde-Website.

Natürlich ist sich auch die DZD-Projektleiterin der Herausforderung bewusst, das Projekt auch mittel- und langfristig zu verstetigen. Für den Kreis Höxter ist sie allerdings zuversichtlich. „Wir sind sehr nachhaltig aufgestellt.“ Das liege vor allem daran, dass man neben der Bereitstellung von IT von Anfang an auf die Vermittlung digitaler Kompetenzen an Bürger:innen gesetzt hat. In Online- und Präsenzschulungen werden sogenannte Kümmerer und Dorf-Digital-Lotsen ausgebildet. Diese werden zu Ansprechpartner:innen im Dorf für alle Digitalisierungsaktiviäten und begleiten zusammen mit Kreis und Kommunen aktiv die Umsetzung der kreisweiten Digitalisierungsstrategie.

Kompetenz zur Meinungsbildung

Das Beispiel Höxter bot einen guten Rahmen für die abschließende Paneldiskussion, in der sich Dr. Catrin Hannken vom BMBF, Kevin Saukel (Stadtschüler:innenrat Frankfurt am Main), Dr. Dorit Stenke (Staatssekretärin für Bildung im Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein) und Sabrina Konzok (Vorstandsvorsitzende SEND e. V.) zu notwendigen nächsten Schritten austauschten, mit der eine notwendige Transformation des Bildungssystems vorangebracht werden kann. SEND versteht sich als Plattform für Social Entrepreneurship und vernetzt und fördert soziale Innovationsprojekte. „Wir sehen inzwischen eine ganze Reihe innovativer Projekte vor allem im schulischen Bereich“, berichtete Sabrina Konzok. An guten Ideen mangelte es ihrer Meinung nach nicht. Die Herausforderung bleibe nach wie vor deren Verstetigung. „Wer ein tolles Unterstützungsformat für Schulen entwickelt, scheitert häufig an dessen Skalierung. Das Tingeln von Schule zu Schule ist extrem anstrengend. Viele halten das nicht durch.“ Helfen könnten hierbei informelle Austauschformate, um die Transparenz bereits bestehender Angebote zu erhöhen. „Wenn man wüsste, wo was schon genutzt wird, könnte man viel gezielter Bedarfe identifizieren.“

Für Schüler:innenvertreter Kevin Saukel stellt sich die Frage, wie demokratisches Handeln als Bildungsziel besser berücksichtigt werden könnte. „Wir müssen uns überlegen, wie wir etwa die Kompetenz zur Meinungsbildung besser in die Lebensrealität der Schüler:innen übersetzen können.“ Dabei empfiehlt er eine Orientierung am Konzept des Constructive Alignment, entwickelt vom australischen Psychologen John Biggs zur besseren Abstimmung von Lern- und Prüfungsinhalten. Im Constructive Alignment (dt: „Konstruktive Abstimmung“) werden Lehrveranstaltungen konsequent auf den Erwerb der gewünschten Kompetenzen hin ausgerichtet. Insgesamt geht es Kevin Saukel darum, Schule noch stärker als bisher nach außen hin zu öffnen. „Unser Ziel muss fächerübergreifender, interdisziplinärer Unterricht sein, unter Einbindung der Zivilgesellschaft und Wissenschaft. Was wir brauchen, ist Open Citizen Science.“

Ausblick 2023: Marktplatz der digitalen Bildung

Auch Staatssekretärin Dorit Stenke sieht partizipative Konzepte im Zentrum zukünftiger Veränderungsprozesse. „In den letzten beiden Jahren haben wir erlebt, wie Schüler:innen sich immer mehr selbst eingebracht haben und eigene Ideen platzieren konnten.“ Die großen Potenziale von Beteiligungskonzepten sehe man an Programmen wie FREI DAY, ein Lernformat, in dem Schüler:innen selbst gewählte Zukunftsfragen bearbeiten. „Man trainiert, wie man in einem Projekt agiert, seine Interessen einbringt und damit umgeht, wenn diese auch einmal nicht sofort auf Zustimmung stoßen“, so Dorit Stenke. Gelingen können solche Formate allerdings nur, wenn man es schaffe, Lehrkräfte entsprechend weiterzubilden und vor allem zu entlasten. „Lehrer:innen sollten sich auf ihren Unterricht konzentrieren können.“

Wobei Schulen eben auch nur als ein Teil der gesamten Bildungskette betrachtet werden sollten, wie Catrin Hannken immer wieder betonte. „Für Lehrkräfte ist es extrem wertvoll, zu wissen, woher die Schüler:innen kommen, die sie unterrichten, was sie scho können, was man ihnen noch beibringen muss. Und auch nach der Schule ist der Bildungsweg für viele ja noch lange nicht vorbei.“ Im Grunde sei gute Bildung, so Hannken, etwas, das noch weit über den Wirkungskreis traditioneller Bildungskarrieren von Kita über die Schule, die berufliche Bildung oder die Universität hinaus bedeutsam sei. „Die Kontexte, in denen wir uns alle inzwischen neue Fähigkeiten aneignen, sind viel umfassender. Sie betreffen im Grunde das ganze Leben.“

Diesen ganzheiltichen, überinstitutionellen Ansatz wird das Netzwerk Bildung Digital auch in Zukunft weiter verfolgen – auch wenn die Förderung durch das BMBF Anfang 2023 ausläuft. Zum einen werde die Projektwebsite weiterhin aktiv bleiben, wie Projektleiterin Anne Woltmann zum Abschluss bekannt gab. Gerade sei man dabei, eine Suche/Biete-Funktion zu entwickeln (Arbeitstitel „Marktplatz der digitalen Bildung“), die im Frühjahr 2023 freigeschaltet werde. In diesem Rahmen will man unter anderem die Möglichkeit bieten, eigene Expertisen und Fragestellungen auf der Plattform einzubringen – eine Erfahrung aus dem Austauschformat Experimentierraum. Dort hatten sich die Teilnehmenden zu eigenen Fragestellungen ausgetauscht und sich wichtige Impulse aus der Gruppe eingeholt.

Das bestehende Netzwerk selbst, so betonten sowohl Jacob Chammon als auch Catrin Hannken, werde sich keinesfalls auflösen. „Wir machen uns weiter stark dafür, die bereits bestehenden Kontakte zu begleiten und bei Bedarf auch Hilfestellung zu geben“, so Chammon.