Interview

„Beteiligung in einer digital durchzogenen Welt ist demokratierelevant“

Geht es um die Gestaltung der Rahmenbedingungen für digitale Bildungsprozesse, müssen Menschen aus allen Altersgruppen berücksichtigt werden. Welche Angebote sind passgenau für die jeweiligen Zielgruppen, welche Kanäle niedrigschwellig und welche Formate möglichst partizipativ? Diese Fragestellung interessierte Tobias Hasenberg, Koordinator Masterplan Digitale Bildung bei der Stadt Dortmund, im Rahmen des dritten Experimentierraums „Rahmenbedingungen entlang der Bildungskette neu denken“.

von Anja Reiter mit Tobias Hasenberg 28.02.2023

Der „Masterplan Digitale Bildung“ ist eine Rahmenstrategie der Stadt Dortmund, um alle Einwohner:innen für eine digital durchzogene Welt zu befähigen und zu bestärken – unter der Berücksichtigung von landes- und bundesweiten sowie europäischen Rahmenbedingungen. Tobias Hasenberg, ehemaliger Hochschuldozent an der Universität zu Köln, koordiniert den Masterplan und fördert den Austausch und die Vernetzung zwischen verschiedenen Dortmunder Akteur:innen im Bereich digitaler Bildung. Ihn treibt die Frage um, auf welche Weise Menschen aller Altersgruppen kontinuierlich, breit, niedrigschwellig und partizipativ in die Gestaltung der Rahmenbedingungen für Lernprozesse im Umgang mit einer digitalen Welt einbezogen werden können. Diese Frage beschäftigt ihn vor allem in Hinblick auf neue Beteiligungsformate, die in Dortmund für Eltern und Schüler:innen entstehen sollen.

Welche Personengruppen werden häufig zu wenig berücksichtigt, wenn es um die Entwicklung von Kompetenzen geht, die einen verantwortungsbewussten und kritischen Umgang mit Techniken und Medien in der digitalen Welt ermöglichen?

Sich in einer digital durchzogenen Welt orientieren zu können, ist alltagsrelevant. Sich in einer digital durchzogenen Welt beteiligen zu können, ist demokratierelevant. Entsprechend gibt es in einer Stadt wie Dortmund durch städtische und freie Einrichtungen, Initiativen, Verbände und Firmen Angebote für die allermeisten Personengruppen. Dies schließt auch Angebote für Menschen mit Handicaps und besonderen Unterstützungsbedarfen mit ein. 

Pauschal betrachtet, stehen Kinder im Kita-Alter bei Überlegungen zur Förderung von Kompetenzen für eine digital durchzogene Welt etwas weniger im Fokus. In dieser Altersgruppe überlagern aus meiner Sicht teils noch Diskussionen über das „Ob“ die Frage nach dem „Wie“. Da Kinder im Freizeitbereich schon früh mit Digitalem in Kontakt kommen, ist es aber wichtig, schon in dieser Altersgruppe anzusetzen. Hierzu braucht es fundierte Konzepte. Unser städtischer Kita-Träger in Dortmund geht hier voran und zeigt, dass kreativ-kritischer Umgang mit Digitalem unter Einbezug der Eltern schon im frühkindlichen Bereich gelingen kann.

Insgesamt ist es aber die Heterogenität der Personengruppen, die aus meiner Sicht häufig zu wenig berücksichtigt wird. Schnell ist von „den“ Schüler:innen die Rede, die digital fit seien, „den“ Lehrer:innen, denen es an digitalen Kompetenzen mangele, „den“ Senior:innen, „den“ Offliner:innen etc. Solche Pauschalisierungen verzerren meist die eigentlichen Bedarfe. Um Kompetenzen für eine digital durchzogene Welt breit zu fördern, ist aber der differenzierte Blick zentral; dann fächern sich anhand von Altersmerkmalen gebildete Personengruppen in verschiedene Bedürfnisgruppen auf. Entsprechend sollte bei der Konzeption von Angeboten statt „Präsenzkurs oder digitaler Kurs?“ gefragt werden: Wo hält sich die Zielgruppe gerne auf, wie lernt sie gerne – und welches Format passt dazu? Zu selten in den Blick gerät für mich insbesondere auch die Frage: Mit welchen Angeboten erreichen wir die Menschen verschiedener Altersgruppen, die ihre Fragen oder Unterstützungsbedarfe nicht ausdrücken, weil sie annehmen, jemand aus ihrer Altersgruppe müsse sich mit den Aspekten auskennen?

Was möchte der „Masterplan Digitale Bildung“ in Dortmund in diesem Zusammenhang konkret erreichen?

Der Masterplan Digitale Bildung verfolgt als Rahmenstrategie entlang der gesamten Bildungskette das übergeordnete Ziel, alle Menschen in Dortmund bestmöglich zu befähigen, an einer digital durchzogenen Welt teilzuhaben, und zu bestärken, ihre Kompetenzen im Umgang mit Digitalem weiterzuentwickeln. Ein solches großes Ziel ist erreichbar, wenn möglichst viele Einrichtungen und Initiativen, die sich in diesem Bereich engagieren, beteiligt sind. Insofern ist der Masterplan-Prozess ein großer Vernetzungsprozess. Wir arbeiten an bestmöglichen Strukturen zur Unterstützung pädagogischer Praxis: Durch Vernetzungsveranstaltungen und eine kuratierte digitale Plattform regen wir pädagogisch Tätige an, Erfahrungen auszutauschen. Wir vernetzen Bildungseinrichtungen, die vor ähnlichen Fragen stehen. Wir stärken den wechselseitigen Transfer von Wissen über Angebote zwischen Einrichtungen verschiedener Bereiche, damit Angebote bestmöglich aufeinander abgestimmt werden können. 

Die Angebote setzen die städtischen und freien Bildungseinrichtungen, Vereine und Initiativen eigenverantwortlich um. Für die Bereiche, in denen die Stadt als Träger aktiv ist, haben die jeweils Verantwortlichen im Masterplan konkrete Ziele für die jeweilige Zielgruppe benannt und setzen diese schrittweise um – vom städtischen Kita-Träger über die Jugendfreizeitstätten bis hin zu Volkshochschule, Musikschule und Bibliotheken.

Welche Erfahrungen haben Sie bei der Entwicklung von Beteiligungsformaten gesammelt, die sich an die gerade genannten Personengruppen richten? Welche Kanäle eignen sich, um diese Personengruppen zu erreichen, welche Formate sind besonders niedrigschwellig?

Beteiligung ist ein zentraler Baustein bei Bildungsangeboten. Die Beteiligungsformate, die wir im Rahmen der Umsetzung des Masterplans entwickeln, zielen auf die Rahmenbedingungen. Um Bildung in einer digital durchzogenen Welt für alle in einer Großstadt wie Dortmund zu ermöglichen, braucht es ein dichtes Netz passender Angebote an ansprechenden Orten in allen Quartieren und Bezirken. Darüber, wie dieses Netz in ihrem jeweiligen Wohnumfeld ausgestaltet ist und sein sollte, möchten wir mit den Menschen ins Gespräch kommen – nicht nur mit einzelnen, sondern mit möglichst vielen. 

Aktuell entwickeln wir ein solches Beteiligungsformat für die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen sowie der Eltern. Kern ist ein flexibler Ansatz: Die Formate sind so gestaltet, dass sie mit wenig Zusatzaufwand in bestehende Formate in den Bildungseinrichtungen integriert werden können – in unterschiedlichem Umfang. An Bestehendes anzudocken, wo die Zielgruppe sowieso zusammenkommt, erscheint uns für eine breite Beteiligung zielführender als die Etablierung eines zusätzlichen, in sich geschlossenen Formats. Damit die Formate für alle Menschen aus den Zielgruppen zugänglich sind, lösen wir uns methodisch von einem rein sprech- und schreibbasierten Ansatz. Stattdessen nähern sich die Beteiligten zunächst individuell mit kreativen Mitteln den Orten und Angeboten digitaler Bildung in ihrem Wohnumfeld und ihren Sichtweisen darauf an. Dabei sind die Formate so gestaltet, dass dies sowohl mit Papier und Stift als auch digital möglich ist. Die kreativen Skizzen, die verdichtet die jeweiligen Sichtweisen veranschaulichen, und ihr Vergleich dienen dann als weitergehender Gesprächsanlass.

Wie sind Sie auf die Experimentierräume des Netzwerk Bildung Digital aufmerksam geworden – und mit welcher Fragestellung haben Sie sich angemeldet?

Ich verfolge die Aktivitäten des Netzwerks von Beginn an auf digitalen Kanälen und nehme regelmäßig an Veranstaltungen des Netzwerks teil. Insofern bin ich online und durch Hinweise in anderen Veranstaltungen auf die Experimentierräume aufmerksam geworden. Im Laufe des Jahres 2022 habe ich an allen drei Experimentierräumen teilgenommen.

Beim dritten Experimentierraum habe ich den Bezug zu einem meiner aktuellen Arbeitsschwerpunkte, der geschilderten Konzeption von Beteiligungsformaten, geknüpft. Mir ging es darum, mit den anderen Teilnehmenden des Experimentierraums zu diskutieren, welche Formate sich für die genannten Zielgruppen aus ihren jeweiligen Perspektiven eignen bzw. mit welchen Formaten sie selbst gute Erfahrungen gemacht haben.

Was nehmen Sie vom Austausch im Netzwerk Bildung Digital für Ihre tägliche Arbeit mit?

Der Austausch im Rahmen des Experimentierraums hat mir – wie angestrebt – Feedback geliefert, welches ich in den weiteren Prozess der Konzeption und Erprobung der Beteiligungsformate einbeziehe. Durch den Austausch im Netzwerk Bildung Digital generell haben sich für mich neue Kontakte ergeben, die teils schon in konkrete Projekte der Zusammenarbeit münden.

Vielen Dank für das Interview!

_
ZUR PERSON

Tobias Hasenberg ist Koordinator des Masterplans Digitale Bildung und Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung „Digitale Bildung“ des Fachbereichs Schule der Stadt Dortmund. Er hat ursprünglich Deutsch und Geschichte auf Lehramt studiert und war zuvor bei der „Zukunftsstrategie Lehrer*innenbildung“ der Universität zu Köln tätig. Dort lag sein Schwerpunkt auf der Qualifizierung angehender Geschichtslehrer*innen im Umgang mit Digitalem.